Sonntag, 6. Mai 2012

Wenn 'Individualisten' zu einer Mainstream-Gesellschaft avancieren


Meine Beobachtungen auf dem Weg zur Universität:
Hipster - Wenn ‚Individualisten’ zu einer Mainstream-Gesellschaft avancieren

von Myra Wiederholz

Es weht eine leichte Brise in die Gesichter der Menschen, die ersten Sonnenstrahlen dringen durch die Wolken und die „Wayfarer“ meines Vertrauens bahnt sich den Weg aus ihrer Etui-Hülle. Auf dem Weg zur Straßenbahn, die sich in zehn Meter Reichweite befindet und mir meinen 12-minütigen Fußweg zur Universität auf drei Minuten reduziert (effizientes Zeitmanagement: eine neunminütige Auseinandersetzung mit meiner Schlummertaste), kommen mir akkurat gekleidete Herrschaften dieser Gesellschaft entgegen. Keine Individualisten weit und breit. Mit meiner orangefarbenen Röhrenjeans, die farblich gesehen an die fade Miracoli-Soße erinnert, könnte ich leicht hervorstechen. Aber nur leicht.

Die Uhr schlägt 8.53 Uhr, eine für Studenten recht unchristliche Zeit, wie sich auch auf den Straßen Wiens erkenntlich macht. Die Straßenbahn türmt sich vor mir auf und die von mir geglaubte zeiteinsparende Entscheidung sollte mit dem unentwegten Massenandrang negativ ausgeglichen werden. Was habe ich mir auch dabei gedacht, ein öffentliches Verkehrsmittel um diese Uhrzeit in Erwägung zu ziehen?! In meinen Augen ist "Zu fuß gehen" also der neue Trend, der jeglichen Körperkontakt und die Vermischung neu entstandener Gerüche vermeidet. Doch bereits im Sog der Masse eingetaucht, bemerke ich neben meiner aufkommenden Bewusstlosigkeit, wie Taschen potenzielle Sitzplätze belegen und meine Geduld auf die Probe gestellt wird. „Es sind nur drei Minuten Fahrt", schwirrt es mir durch den Kopf – ein kläglicher Versuch meine morgendliche Kalkulation in ein positives Licht zu rücken.
Die Durchsage "Schottentor“ befreit mich aus meinem Gedankengang und den Fängen menschlichen Schweißes. Flüchtend in Richtung Universität begegne ich erneut einer Menschenmasse, die mich mit Flyer und Zeitungen eindecken oder mich als neues Parteimitglied vereinnahmen will.[1]

Im Universitätsgebäude angekommen, lege ich mir erbärmlicherweise selbst eine passende Ausrede zurecht, um den Aufzug zu benutzen. Als ob die schwere Ledertasche wahrhaftig der Grund für die Wahl des Fahrstuhles gewesen sei anstatt der Bequemlichkeit. Der Aufzug stoppt und ich bilde mir ein, die Worte des Navigationssystems „Sie haben das Ziel erreicht“ zu hören.
Universitätsausweis vorgezeigt und den Schlüssel vertrauenswürdig entgegen genommen, begebe ich mich zur 476. Eine Nummer, die sich in der letzten Ecke des Raumes befindet und mir das Gefühl gibt, 40 Jahre durch die Wüste zu wandern. In der Bibliothek stürze ich mich mit Sack und Pack auf meinen Lieblingsplatz und besetze mit universitären Unterlagen, Taschentüchern und Zeitungen vier Plätze für meine Freunde. Durch mein asoziales Verhalten, Plätze für ein paar Stunden zu belegen, ist mir der Hass anderer Studenten sicher. Der Tag kann also beginnen.

Mein Blick wandert nach oben und eine neue Sorte von Studenten infiltriert den Raum; Studenten, die sich von der Masse abheben und mich im Idealfall als Verfechterin der Konsumgesellschaft sehen: Es sind Studenten der sogenannten und selbsternannten Hipster-Szene! Hipster sind in der heutigen Zeit Menschen, die sich durch ihren Geschmack, ihr Intellektualismus, ihr soziales Verhalten, ihr lässiges Auftreten, ihre ‚Coolness’ und vor allem durch ihre Individualität auszeichnen. Kurz: Nonkonforme Bürger, Revolutionäre, anders Denkende – zumindest in ihrer Vorstellung.

 

Woher stammt eigentlich der Begriff Hipster? 


Der Journalist Anatole Broyard hat den Ausdruck 1948 in seinem Aufsatz ‚A Portrait of the Hipster’ geprägt. In seinem Aufsatz thematisiert er die Jazz-Subkultur, die sich durch eine Art des kulturellen Widerstands gegen die weiße Vorherrschaft auflehnt. 1957 bezeichnete der Autor Norman Mailer, der auch ein bedeutender Vertreter des New Journalism war, in seinem gleichnamigen Essay den Hipster als White Negro. Sein Werk machte einerseits diese Lebensform für Weiße zugänglich, andererseits erfüllte es die rassistischen Klischees eines Schwarzen, nämlich erotisch, gefährlich und authentisch zu sein.

„Den Hipstern der Nullerjahre dient nicht mehr der Afroamerikaner, sondern die weiße Unterschicht, der White Trash , als stilistisches Vorbild.“[2] Ihr äußeres Erscheinungsbild wird durch Schnauzer, Skinny Jeans, lockeren Shirts, Jutebeutel und einer Nerdbrille individualisiert. Es ist die Rede von Caucasian Kitsch.
„In der ironischen Aneignung der kulturellen Codes der Unterschicht durch die meistens aus der Mittelschicht stammenden Hipster drückt sich eine neue Grenze aus.“[3] Statt einer rassenspezifischen geht es in der neuen Szene um die klassenspezifische Orientierung. Der damalige „Hipster“ -Begriff wird heute anders interpretiert.

Die Tische der Bibliothek sind mit den neuen Hipstern übersäht, die sich mit ungewöhnlichen Arbeitsmaterialien auseinandersetzen: Macbooks, an denen die Ladekabel der I-Phones angeschlossen sind, (wenn vorhanden) I-Pads, College-Blocks, Stift und Marker. Eine wirkliche Rarität unter den Studenten und Studentinnen dieser Universität. Ihr Durst wird mit Bionade, Chai-Tee oder Kaffee gestillt und ihre Pausen mit dem Konsum von Zigaretten befriedigt. Genervt von ihrer Attitüde trinke ich aus meiner Cola-Light und versuche mich auf das Lernen zu konzentrieren. 

Während des Lernens stelle ich fest, mit meiner heutigen Wahl  (Apple Macbook, zwei Blackberries[4], Qualitätszeitung, farbige Röhrenjeans, Ledertasche, lockeres gestreiftes Shirt, Blazer, goldfarbene Uhr, Wildlederschuhen, Burlington-Socken, Wayfarer, Haare zum Dutt an der oberen Kopfstelle) ins Schwarze zu treffen und die Eintrittskarte in die sagenumwobene Hipster-Szene zu erhalten. Der Unterschied zu dieser „Subkultur“ ist mein ordentlich gebügeltes Outfit, die legendäre Bügelfalte in meiner Jeans und die bereits genannten Zierstücke -  Merkmale, die mich wiederum Teil einer versnobten Gesellschaft werden lassen. Es scheint, als sei ich ein verkommenes Werk Picassos oder das Aushängeschild einer verkappten „Möchtegern-Hippen-schnöseligen“ Gesellschaft (kurz: Produkt des schlechtes Geschmacks)?

Ihr Faible für Bücher, für gute Musik, die Retroaffinität (Mac und I-Phone sind nicht retro!) und ihr „extraordinärer“ Kleidungsstil spiegeln keine Individualisten wider, sondern lediglich Angehörige einer gegenwärtigen Mainstream-Gesellschaft oder schlichten Konsumgesellschaft. Auch ich präferiere Bücher/Zeitungen, einen bestimmten Stil, dennoch vertrete ich keine scheinheilige Unterkultur und weigere mich auch der Titulierung.

Meine Aversion richtet sich nicht gegen die einzelnen Personen, sondern gegen den Hype „Hip“ zu sein oder sich als „Hipster“ zu glorifizieren, um ein gewisses Statement zu setzen. Authentizität ist die Devise! Im Endeffekt sind Hipster alle gleich, Sardinen aus der Konservendose, die es auch noch durch ihre Art und Vorlieben unterstreichen. Ein Individualist ist (par Definition) jemand, der einen persönlichen Lebensstil entwickelt, sich von anderen abhebt, seine eigenen Interessen verfolgt und keiner bestimmten Linie nacheifert. Aber wie kann sich einer von anderen abheben, wenn er derzeitig ein gesellschaftliches Massenphänomen vertritt und Konformität reflektiert?   

Um Individualist zu sein, muss man keinen spielen. Man ist schon von der Geburt an einzigartig! 
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[1] Als Deutsche werde ich keiner österreichischen Partei angehören, schon gar nicht einer Kommunistischen oder Rechten.
[2] zeit.de zum Thema „Hipster“; mehr unter http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-10/hipster
[3] zeit.de zum Thema „Hipster“; mehr unter http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-10/hipster
[4]Life was much easier when Apple und Blackberry were just fruits“

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