Donnerstag, 1. November 2012

She Works Hard For The Money!

Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt ...

... schonen wir nun schon seit einiger Zeit, was unsere Outright-Ergüsse betrifft, unsere kreativen Säfte. Das liegt unter anderem daran, dass nun auch wir der schnöden Erwachsenenwelt Tribut zollen bzw. zollten: Vorübergehend haben Myra und ich unseren akademischen Elfenbeinturm verlassen, um in den redaktionellen Arbeitsalltag hinein zu schnuppern. Mit einem klassischen Studiosi-Nebenjob hat das aber so wenig zu tun, wie mit einem prall gefüllten Geldbörserl: Bezahlung ist für Praktikanten der Kreativbranche nämlich leider in den meisten Fällen ein Fremdwort. Man muss aber dazu sagen, dass Myra wie auch ich das Glück hatten, zumindest mit einer Art "Alibilohn" bedacht zu werden. Aber wäre das werte Geld das Motiv gewesen, hätten wir beide wohl andere Wege eingeschlagen. Für uns ging und geht es um die Chance, erstmals im laufenden Redaktionsbetrieb mitanpacken und die Abläufe dort kennenlernen zu dürfen. (Und die Eltern freut's auch, zu sehen, dass man als Publizistikstudent nach dem Bakk-Abschluss nicht automatisch in der Gosse landet.)

Karla Kolumna, die rasende Reporterin aus dem Kinderklassiker Benjamin Blümchen (welcher übrigens denselben deutschen Synchronsprecher hat wie Chuck Norris)

Myra hat über den Sommer als Praktikantin bei Tush / What! Magazine erste Gehversuche auf dem glatten Parkett des Modejournalismus getan – und dabei, wie ich finde, eine fantastische Figur gemacht! Meine Wenigkeit gehört derzeit dem erlauchten Kreis des Monopol-Verlages an, wo ich seit einigen Wochen meinen Senf zu einem sehr breit gefächerten Themenrepertoire dazutun darf.
Konkret generiere ich Inhalte für The Gap und Biorama, online wie auch für die Print-Ausgaben. [Und nein, man kann die leider nicht in der Trafik um's Eck erstehen, sondern muss sie entweder abonnieren, in kulturellen Venues Ausschau danach halten oder gleich ein (ökologisch) besserer Mensch werden und fortan Adamah-Biokistl konsumieren und sich über die jeweils aktuelle Biorama-Beilage freuen.]

Die Redaktion von The Gap, welche mir derzeit sozusagen ein 2tes Wohnzimmer ist, hat sich übrigens einer Blattlinie verschrieben, die ich euch nicht vorenthalten möchte: "The Gap ist Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden, Toleranz, Demokratie und den Allgemeinen Menschenrechten verpflichtet." Ist das nicht schön!? Und das Beste: Ich darf dort Musik rezensieren bis Finger und/oder Ohren wund sind und anschließend die noch unveröffentlichten Alben auch behalten (– whoop whoop)!

Wer immer schon mal wissen wollte, was man als Schnupper-Redakteurin eigentlich den ganzen Tag so treibt, dem sei bis auf weiteres mit diesen Links geholfen:

http://www.thegap.at/autoren/autor/redakteur/lisa-schmid/

http://www.biorama.at/author/lisa-schmid/

Alles Liebe,
M.P.

Freitag, 31. August 2012

Sex on the Beach mit einem Schuss Feminismus

von Miriam Pierra

Urlaubslektüren sind schon was Feines. Manches ist geistreich, manches spannend, vieles ist seicht. Mal liest man darin Dinge, die einen in der eigenen Meinung bestärken, mal Kontroverses, und manchmal auch etwas, das einem gehörig gegen den Strich geht. In so einem Fall kann man sich der Dummheiten, die da in gebundener Form daherkommen, ganz leicht erhaben fühlen, indem man das freche Ding einfach zuklappt und weglegt. Das funktioniert aber wohlgemerkt nur bei der eigenen Lektüre. Was aber tun, wenn einer der geschätzten Urlaubs-Compagnons gerade begeistert in einem Schmöker blättert, von dem man schon damals an der Kassa in der Buchhandlung wusste, er würde Unheil bringen? Nun gut, die Wahl der Strandlektüre meiner (männlichen) Begleitung fiel also auf Ralf Bönts „Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann“.

„New York Times, IWF, Deutschland! Na bitte, da hast du‘s!“, tönt es plötzlich triumphierend neben mir. Ich blinzle verschlafen, die Sonne blendet mich. Wer wagt es mich während meines allsträndlichen Mittagsschläfchens zu wecken? „Angela Merkel, ha!“, ruft mein Freund L. neben mir. „Das ist gut, das merk ich mir.“ Ich blicke etwas verdutzt zu L., dessen Kopf sich hinter dem mit geradezu hysterisch neongrüner Aufschrift bedruckten Buchdeckel des besagten Manifests versteckt. „Hä?“, murmle ich und richte mich, den 30 Grad im Schatten entsprechend motiviert, langsam auf. „Wenn ich das nächste mal mit einer bornierten Feministin diskutiere, werde ich sagen: Die New York Times, der IWF und Deutschland, alles globale Größen in vielerlei Hinsicht, werden von Frauen geführt. Da habt ihr‘s doch! Von wegen patriachale Unterdrückung.“ Ich halte einen Moment inne. Mein Gegenüber ist eigentlich ein blitzgescheiter und überdurchschnittlich smarter Mann. Aber wo soll ich nur anfangen ihm zu erklären, was für einen populistischen Schmarren er da gerade zitiert hat?



Kampflesbe vs. Chauvinistenschwein


Dieses war der Beginn unserer ersten Auseinandersetzung in Sachen (Anti-)Feminisimus in diesem Urlaub, es sollten noch viele weitere folgen. Die Sache hatte sich auch schnell erledigt, da auch L. bald eingesehen hatte, dass es sich dabei um ein besonders flaches „Anschauungsbeispiel“ Bönts handelte. Sein Manifest jedoch ist gespickt mit zahlreichen weiteren Versuchen, dem Leser ein Bild der modernen Frau zu suggerieren, die nach der 3. Welle des Feminismus im letzten Jahrhundert nicht nur längst gleichberechtigt wäre, sondern nun auch noch versuche, dem Mann seine Stellung in der Familie strittig zu machen und ihn somit seiner Rechte zu berauben. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich bisher weder das Buch selbst gelesen habe, noch plane es zu tun. Die wichtigsten Thesen habe ich ja schon in stundenlangen Diskussionen mit L. durchkauen dürfen. Ein herrliches Schauspiel: Frau vs. Mann, vom dalmatinischen Wein gelockerte Zungen und das Rauschen des Meeres im Hintergrund, das einen immer wieder runterholte, wenn es mal etwas hitzig wurde.

In Anlehnung an den Postkartenklassiker mit den aufgereihten Frauenhintern in Neon-Tangas, die es sonst an jedem Strandpromenaden-Stand zu kaufen gibt – und weil die Klicks dieses Postings sich hiermit wahrscheinlich gleich mal verdoppeln werden. (Tippt man übrigens die genderneutralen Suchbegriffe "sexy" und "Beach" in Google ein, findet sich das erste Bild eines halbnackten Mannes erst auf Seite 5.)

Das Ganze spielte sich übrigens an der wunderschönen kroatischen Adria ab, die, je weiter man gen Süden fährt, als Setting für Genderdebatten hinsichtlich der dort vorherrschenden steinzeitlichen Vorstellung davon, was als männlich und was als weiblich gilt, zusätzlich Gesprächsstoff lieferte. (Memo an mich: Überprüfen ob der Wortstamm von „Macho“ nicht doch irgendwo im Kroatischen begraben liegt.) „In Dalmatien ist die Welt noch in Ordnung! Da fängt der Mann den Fisch und die Frau bereitet ihn zu. Und ein kaltes Pivo steht auch immer schon am Tisch, wenn man nachhause kommt.“, zog mich L. (der selbst begnadet kochen kann, während meine bescheidenen Kochkünste sich in Grenzen halten) am Ende immer wieder auf. Viele der Bemerkungen, die seitens meiner männlichen Kontrahenten gefallen sind, sollten wohl lediglich den Sinn haben, mich auf die Palme zu bringen. Anscheinend empfinden selbst die liebenswertesten Männer eine perfide Lust daran, Frauen damit aufzuziehen, wenn sie sich mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen wollen – auch wenn sie „ja eh dafür“ sind, dass Frauen für gleiche Arbeit gleich viel verdienen. Ja, auf der historischen Butterseite der Semmel lassen sich eben leicht mal Witzchen reißen. Doch das führt leider oft dazu, dass die meisten jungen Frauen, die ich kenne, sich nicht einmal mehr trauen, sich überhaupt zum Feminismus zu bekennen. Sie wollen nicht in eine Ecke gestellt werden mit all den „verbitterten Mannsweibern“ und „Kampflesben“, die Männer in ihren abfälligen Bemerkungen hinter feministischen Bewegungen vermuten. Welcher Mann will schon eine fanatische Frauenrechtlerin an seiner Seite? Und welche Frau will schon ihren Mann einschüchtern, mit Forderungen nach einem verpflichtendem "Papamonat" oder Frauenquoten? Aber wie bitte soll eine Frau keine Feministin, also gegen Gleichberechtigung sein können?

„Wie sonst willst du Bademode präsentieren, außer halb nackt?“


Aber stimmt ja, wir befanden uns ja immer noch in Dalmatien, dem Land der kurzen Röckchen. Ich muss sagen, die ersten paar Tage waren ja noch lustig. Sogar mir machte es Spaß, mich gemeinsam mit meinem Single-Freund L. auf die Pirsch zu legen und Ausschau nach einer potentiellen Partnerin für ihn zu halten. Ja, es war ein wahres Fest, all den langbeinigen, braungebrannten Grazien nachzuschauen und sich Strategien zu überlegen, wie man sie am besten mit meinem charmanten Begleiter verkuppeln könnte. Doch nach einigen Tagen bekam das Ganze einen bitteren Beigeschmack für mich. Es wurde mir schlicht zu einseitig. War es anfangs noch witzig, jede vorbeistöckelnde Hotpants zu kommentieren, fiel mir nach einiger Zeit auf, dass sowohl auf den Straßen, als auch auf den haushohen Plakaten, die männlichen Pendants zu all den aufreizenden Weibchen fehlten. Die kroatischen Männer waren alle wenig bemüht, wie alte, faule Kater, die in einem Haus voll mit Mäusen wohnten und langsam fett geworden waren, mussten sie doch nur eine Pfote ausstrecken, um sich die Nächste zu krallen. Von den weißgesockten amerikanischen Kreuzfahrttouristen ganz zu schweigen.

„Ja, aber es sind doch auch Bikinis! Wie sonst willst du Bademode auf Plakaten präsentieren, außer halb nackt?“, empört sich mein Freund A., selbst stolzer Kroate und längst an den Anblick der in Dalmatien tatsächlich blankeren Haut als sonst wo gewöhnt. „Außerdem hat es hier im Sommer 40 Grad, willst du dass jetzt alle in Jeans herumrennen? Du hast doch auch gerade eine Hotpants an!“ Ich sehe an mir herunter. Verdammt. Das untergräbt meine Glaubwürdigkeit jetzt natürlich ein wenig. Ich hole zu einem verlegenen Gegenschlag aus: „Natürlich will ich das nicht. Und ich möchte auch keiner Frau absprechen, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen und diesen auch zu zeigen, aber ... keine Ahnung ... Wieso ist eine Frau immer gleich ein Sexobjekt, wenn sie das tut, der Mann aber bleibt, auch wenn er oben ohne herumläuft, immer das Sexsubjekt? Es ist ja wie auf einer riesigen Rinderfarm hier, wo der Mann am Zaun entlang geht und sagt ‚Dieses da sieht saftig aus.‘“ Rückblickend hätte ich in diesem Zusammhang auch den Kunsttheoretiker John Berger zitieren können, der einmal schrieb: „Männer handeln. Frauen treten in Erscheinung. Männer sehen Frauen an. Frauen sehen sich, wie sie angesehen werden.“ Stattdessen weise ich mein Gegenüber darauf hin, dass es auch weniger laszive Posen für die Präsentation von Bikinis gibt, als die der mit gespreizten Beinen im Sand knienden Latina mit Schlafzimmerblick, und überhaupt und allgemein, wer sitzt denn in den (immer noch größtenteils männlichen) Vorständen der Werbeagenturen, die letztlich entscheiden, wie die neusten Kollektionen beworben werden sollen? Doch A. hört mir längst nicht mehr zu – zu verlockend die schönen Aussichten entlang der Promenade.

Man Up, Girls!


In einer Sache muss ich Ralf Bönt letztlich doch Recht geben: Das blinde Männerbashing, das von populistischen Feministinnen oft betrieben wird, ist leider so wenig sinnvoll wie es würdelos ist. Außerdem ist es immer leicht, sich einen Sündenbock zu suchen, den man für alles verantwortlich macht. Den schwarzen Peter in Sachen Umweltverschmutzung schieben wir Ölmultis in die Schuhe – und fahren doch jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit, statt mit dem Fahrrad. Schuld an der Ausbeutung der 3. Welt haben natürlich die großen Konzerne – und doch kaufen wir ihren neuesten Scheiß immer wieder. Ähnlich verhält es sich mit feministischen Anliegen, die Sexismus und festgefahrene Rollenbilder kritisieren: Wir müssen uns endlich selbst an der Nase nehmen und aufhören, uns als Opfer einer patriachalen Gesellschaft zu sehen! Fragen wir uns doch mal, wieso so viele Frauen das Haus nicht verlassen, ohne davor 2 Stunden vor dem Spiegel damit verbracht haben zu müssen, sich zuzukleistern und aufzupushen? Weshalb studieren immer noch so wenige Frauen MINT-Fächer, wo man in gerade diesen (finanziell vielversprechenden) Bereichen händeringend nach weiblichem Nachwuchs sucht, und bevorzugen eher brotlose Studien wie Kunstgeschichte oder Publizistik? Warum bestehen so wenig Frauen in Gehaltsverhandlungen auf eine Bezahlung, von der sie wissen, dass ihre Leistungen es rechtfertigen würden? Auch Quoten sind letztendlich nichts anderes, als lediglich Chancen für Frauen, sich in der harten Arbeitsrealität in den Chefetagen selbst zu beweisen. Dazu müssen diese aber auch die Ellbogen ausfahren, öfter mal „Hier!“ schreien, statt sich hinterrücks gegenseitig zu diskreditieren, weil die eine vielleicht jünger, hübscher oder charismatischer ist, als man selbst. Schon mal Männer übereinander lästern gehört? Die ersten Schritte müssen, wie so oft, bereits in der Kinderstube getan werden: Mädchen müssen nicht immer lieb und nett sein. Ich persönlich war immer eine kleine Rotzpipn – und bin darauf heute stolz wie Oskar!

Meinungsmacker waren gestern


Eine wichtige Schlüsselfunktion haben hierbei übrigens auch die Medien: Die Bereitstellung von Vorbildern ist ganz essentiell, um gerade jungen Mädchen eine Orientierungsmöglichkeit zu bieten. Das altbackene Kinderfilm-Schema, in welchem Frauenrollen meist zwischen naiver Prinzessin und böser Stiefmutter rangierten, hat heutzutage sogar bei Walt Disney ausgedient. An ihre Stelle treten unbequeme Kämpferinnen, die sich auch mal gegen eine Vermählung mit dem strahlenden Prinzen als ultimatives Happy End verwehren, wie etwa im aktuellen Animationsfilm „Merida – Legende der Highlands“. Auch TV-Serien können nebst unterhaltsamer Berieselung am Feierabend noch ganz andere Funktionen ausüben: Seit dem Start der Krimiserie CSI ist in den USA der Anteil weiblicher Forensik-Studentinnen um 64 % gestiegen! Ein Negativbeispiel was passiert, wenn Medien diese Verantwortung nicht wahrnehmen, ist jedoch auch schnell gefunden: Die Medienlandschaft in Kroatien ist beispielweise, was emanzipatorische oder gar feministische Themen angeht, mehr als rückständig. Die besten Chancen auf ein Rauschen im Blätterwald haben dort leider oft nur Geschichten von hübschen Mädchen aus der Unterschicht, die, wie im Märchen, endlich ihren reichen Prinzen gefunden haben. Jennifer Siebel Newson widmet sich in ihrer Dokumentation "Miss Representation" u.a. dem Problemfeld der Darstellung von Frauen in den Medien und der Trailer bringt diesen Absatz wunderbar auf den Punkt:




Zum Schluss noch ein paar erfreuliche Nachrichten aus heimischen Gefilden: Alexandra Föderl-Schmid, langjährige Chefredakteurin der liberalen österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, wurde kürzlich zur Co-Herausgeberin beider Redaktionen, online (derstandard.at) wie offline, ernannt. Neue stellvertretende Chefredakteurin beider Medien wird die bisherige Ressortleiterin der Innenpolitik, Anita Zielina. Chefredakteurin von derstandard.at bleibt Gerlinde Hinterleitner. Etwaige Vergleiche des Gründers und Herausgebers Oscar Bronner als nunmehr „Hahn im Korb“ sind zwar vielleicht gerade in einer Feminismusdebatte gefährlich, aber eigentlich auch nur wenn hier humorlose "Innen"-VerfechterInnen mitlesen: Ich freue mich außerordentlich auf weitere erfolgreiche Jahre qualitätsjournalistischen Gegackers auf höchstem Niveau im Standard-Stall. ;)

Montag, 23. Juli 2012

In der Höhle des tanzenden Löwen: Ein Bericht von vorderster Festivalfront

von Miriam Pierra

„Bin dann mal die nächsten 4 Tage melten!“ Wenn ich mir heute durchlese, was ich da als letztes Lebenszeichen von der bundesdeutschen Grenze verschickt habe, muss ich schmunzeln. Oh, wie naiv ich doch war. Meine letzte Festivalerfahrung liegt offensichtlich wirklich schon zu lange zurück, als dass ich mich an eine der wichtigsten Faustregeln erinnern hätte können. Heute, genau eine Woche später, weiß ich es umso besser: Dauer des Festivals = minimale Dauer der anschließenden Regenerationsphase! Zumindest wenn man alles richtig macht – und ich meine „festival-richtig“.

Dabei lief die Vorbereitungsphase noch recht zivilisiert ab; meine ungestüme Reaktion, als ich das erste Mal das sensationelle Line Up für dieses Jahr zu Gesicht bekommen habe, ausgenommen. Aber zu meiner Verteidigung: Der Anteil meiner derzeitigen Lieblingsmusiker war einfach so hoch, dass es unangebracht gewesen wäre, keine Luftsprünge zu machen. Endgültig den Rest gegeben hat mir letztlich dieser aktuelle Trailer des Melt! 2012. (Und ich bekomme noch immer bzw. gerade jetzt unweigerlich Gänsehaut, wenn ich mir dieses Schmuckstück anschaue.)

 

Tschüss Welt & Hallo Melt!

 

Zunächst muss ich wohl ein kleines Geständnis ablegen: Ich war eigentlich noch nie (nicht nur auf der Durchreise) in Deutschland! Es war bisher einfach, wie soll ich sagen, zu nahe liegend. Umso mehr freute mich dieser mehr als bestechende Anlass, endlich mal in die Höhle des Löwen vorzudringen und bei der Gelegenheit auch gleich das Tanzbein mit ihm zu schwingen. Die Original-Idee wäre es ja gewesen, aus den gesammelten Eindrücken einen Eintrag für die Rubrik „Wir Ösis / Wir Piefkes“ zu basteln. Daraus geworden ist leider nichts, denn auf die Frage „Was ist denn spontan eure erste Assoziation mit Österreich?“ erntete ich meist nur fragende Blicke, bis sich dann irgendjemand eines mitleidigen „ähm ... Miriam Weichselbraun?“ erbarmte. Ich gab mein Vorhaben also wieder auf, weil ich mich bald fühlte, wie die Vertreterin meiner heiß hassgeliebten Bananenrepublik, die sich von Minderwertigkeitskomplexen geschüttelt unbedingt vom großen Bruder abgrenzen will, während der noch nicht mal Desinteresse zeigte. Lag’s etwa an unserer Unterzahl (wir waren zwischen geschätzten 15.000 Deutschen, 30.000 Holländern und ein paar zerquetschten Engländern die einzigen Powidltascherln vor Ort), an etwaigen Verständigungsschwierigkeiten oder warʻs letztlich doch die Berliner Luft, die uns einen feuchtfröhlichen Strich durch die Rechnung gemacht hatte?


Apropos feucht(fröhlich): Wie das bei Festivals eben so ist, bekamen wir Wind und Wetter natürlich voll zu spüren. Wobei ich sagen muss, dass ich selten so charmante Unwetter erlebt habe. Der wolkenverhangene Himmel war einfach ununterbrochen unbeschreiblich (und vor allem leider unfotografierbar) schön. Überhaupt ist das gesamte Naturspektakel in und um Ferropolis ein echtes Erlebnis! Das ehemalige Tagebau-Areal, das noch bis in die 90er Jahre ein Ort entfesselter Industriekräfte und Umweltsünden war, ist mit seinen bis zu 130 m langen und 30 m hohen alten Baggern (die nachts teilweise 10 m hohe Flammen speien) als Kulisse einfach unschlagbar. Die wenigen trockenen Momente wurde entsprechend genutzt, um den Blick gen Himmel zu richten und friedlich an einem Grashalm kauend das atemberaubenden Panorama zu genießen. Nur sind solch besinnliche Momente bei einem so vollen Programm eher spärlich gesät.

Dancing is dreaming with your legs! (© trndmusik)


Das Traurige an einem so grenzgenialen Line Up ist ja, dass es schlicht mehr Sehenswertes und Tanzbares bietet, als ein einzelner Mensch in so kurzer Zeit je sehen, geschweige denn tanzen könnte. Versuchen muss man es trotzdem unbedingt und so kam es, dass ich 3 Tage durchgehend von einer Bühne zur nächsten gehüpft bin. Und als ob die Reizüberflutung nicht schon perfekt gewesen wäre, schloss ich am Weg von Bühne A nach Bühne B immer wieder neue bunte Bekanntschaften, mit denen ich dann schunkelnd den jeweiligen Artisten frönte. Bei jedem Auftritt hatte ich eine neue beste Freundin gefunden, die ihre mit Glitzer übersäten Backen an die meine drückte, bis ich auch bald aussah wie eine der gigantischen Discokugeln, die von den riesigen Kränen hangen.



Müsste ich einen speziellen Aspekt herausgreifen, der das Melt! von anderen Festivals abhebt, dann dürfte (neben der einzigartigen Kulisse und dem unbeirrbaren Gespür für eine explosive musikalische Mischung) keinesfalls das Publikum unerwähnt bleiben. Egal wo, egal wer, egal wie akut unzurechnungsfähig: Welche Welten in diesem Areal auch immer aufeinanderprallten, ich kann mich an keine einzige ungute oder aggressiv geladene Situation erinnern. JEDER liebt hier JEDEN! Zwar nicht unbedingt so radikal wie die freie Liebe, an die man damals in Woodstock glaubte, aber immerhin. Du baust gerade alleine deine kleine Sandburg am Wasser? Toll, lass mich gleich noch meine ganze Sippe vom Campingplatz holen und wir helfen dir die dickste Sandburg zu bauen, die Ferropolis je gesehen hat! Und danach tauschen wir noch Trikots und ziehen Händchen haltend bis zum Morgengrauen um die Zelte! Diese bedingungslos konstruktive Dynamik ist es, die das Melt! Festival zu einem so unvergesslichen Abenteuer macht.

 

Zuerst Nostalgie, dann Kissenschlacht


Zu guter Letzt schulde ich euch noch eine (nach meinem Geschmack beschämend kurze) Bilanz der Bands, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind. Für einen harmonischen Einklang sorgte der Auftritt von Jessie Ware, die sich nach „Wildest Moments“ und „110%“ die Aufmerksamkeit mit den überaus tanzbaren Tracks von Disclosure (gleich auf der Nebenbühne) teilen musste. Wenig später stand ich auch schon bis zu den Knien im Wasser und wippte zu dem, was meine Landsleute Brandt Brauer Frick so von sich gaben. Ehe ich mich’s jedoch versah, saß ich auch schon auf den Schultern meines Freundes und sang lauthals zu „Little Numbers“ von Boy mit. Den leider viel zu frühen Abschluss des ersten Abends markierten dann Caribou und The Rapture auf der Bench Main Stage. Wie Kindern, die urplötzlich mitten im Spielen einschlafen, weil sie sich vor lauter Aufregung ihre Kräfte nicht richtig einteilen können, erging es nämlich auch uns letztlich an besagtem ersten Abend. Die Tatsache, dass ich somit Dillon, Bloc Party und I Heart Sharks verpasst habe, nagt allerdings immer noch an mir. (Frittenbude wird ja eh bald am Berlin Festival nachgeholt.)

An Tag 2 schüttelten die Beats von Todd Terje (und anderen Elektronikkünstlern auf der Big Wheel Stage) meine müden Knochen wieder wach. Als Kontrastprogramm gab es dann ein wenig guten alten Indierock von den Blood Red Shoes und den Citizens! Alte Erinnerungen an das Frequency Festival 2007 wurden geweckt und mein Kopf schaltete in Erwartung folgender Bands sogleich in einen fröhlich-erregten Nostalgie-Modus. Musiker wie die oben genannten Blood Red Shoes, Two Door Cinema Club oder auch Gossip begleiten mich nämlich schon seit einigen Jahren. Ganz besonders hin und weg war ich dann auch von der Performance von Two Door Cinema Club, die nämlich (entgegen meinen Befürchtungen) all ihre Klassiker zum Besten gaben. Auch die umwerfende Bühnenpräsenz der gerade mal 1,55 m kleinen Beth Ditto in ihrem feuerroten Aufzug war ein unvergesslicher Eindruck. Und wo wir schon bei tollen Bühnenshows sind: Das Berliner Duo Modeselektor rockte die Bench Main Stage, wie kaum einer der Inselmusikanten vor ihm! Zur Unterstützung holten sie kurzerhand Miss Platinum auf die Bühne, die mit einer Live-Version von "Berlin" begeisterte. Die Visuals waren teilweise so abgespaced, dass ich nachher 10 Minuten in eine im Wind wippende Baumkrone schauen musste, um meine Augen zu beruhigen. Ganz zu schweigen von der „Kissenschlaaaaaaaaacht!!!“, bei welcher zig Pölster in die Menge geworfen und aufgerissen wurden, bis wenige Minuten später das ganze Publikum in einem meterhohen Turm aus Federn versank.

Die ersten Sekunden der Modeselektor-Kissenschlacht
Um die erhitzten Gemüter wieder etwas runterzuholen lieferte uns der experimentierfreudige Export aus Österreich Elektroguzzi anschließend einen wohlklingenden elektronischen Abschluss – an Bass und Schlagzeug. (Ach ja, Buraka Som Sistema haben wir uns an diesem Tag auch noch gegeben, nur lässt sich ihre anarchistische, dadaistische Performance weder in Worte fassen, noch in diesen Absatz einbetten.)

 

Das Beste kommt zum Schluss ...


Am letzten Tag bin ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge aufgewacht, weil es einerseits wirklich bald vorbei sein sollte, andererseits aber noch eine Performance bevorstand, auf die ich mich mit am meisten gefreut hatte: The Whitest Boy Alive! Bekannt für ihre gebührenden Abschlusskonzerte am Melt! Festival wurden meine Erwartungen noch übertroffen, als überraschend auch noch das Wetter mitspielte und die Bench Main Stage zu „Burning“ ins Licht des Sonnenuntergangs tauchte. Eine weitere Überraschung verschaffte mir die Band Destroyer, die ich zuvor nur ganz flüchtig kannte, von der ich mich allerdings nicht mehr abwenden konnte und wollte, als sie ihren Song „Chinatown“ zum Besten gaben. Außerdem versüßten uns noch Alunageorge, Pollyester und Icona Pop unseren letzten Tag auf der Insel. Leider hatte der Sleeplessfloor (außerhalb des offiziellen Festivalgeländes) uns zuletzt so sehr in seinen Bann gezogen, dass wir Yeasayer und Twin Shadow verpasst haben. Aber auch wenn ich unterm Strich einige meiner „To Do List“-Bands leider nicht sehen konnte, habe ich jetzt erst recht Blut geleckt und umso mehr noch vor mir!

... und das ist gerade erst der Anfang!

Dienstag, 3. Juli 2012

Euphonischer Start in den Sommer mit GRIMES

von Miriam Pierra

„Studying means working hard: 24 hours a day - 7 days a week - 4 weeks a year.“

Diese weisen Worte waren für die letzten paar Wochen auch mein Mantra. Nach etlichen Stunden (also gefühlten Monaten) auf der Bibliothek, haben jetzt auch Myra und ich (hoffentlich) erfolgreich unsere letzten Prüfungen hinter uns gebracht. Jetzt heißt es also endlich auch für uns: Hallo Sommer! Hallo Sonne, Schwimmen (respektive Schwitzen), Seelebaumeln! Und nachdem heuer mein erster arbeits- bzw. praktikumsloser Sommer seit Jahren ist, gilt für mich nun zusätzlich: Hallo, du süße, süße Unproduktivität! Oh, wie ich dich zelebrieren werde!

Natürlich betrifft das keinesfalls diesen Blog, denn allein die Tatsache, dass ich diesen Sommer zu meinem persönlichen Festival-Sommer (seit beschämend langer Zeit) auserkoren habe, dürfte mir genügend Stoff liefern, um euch monatelang mit meinen musikalischen Neuentdeckungen zwangszubeglücken.

Kommen wir also gleich zur Sache: Eine junge Dame ist mir u.a. während meines oben beschriebenen Lernprozesses besonders treu zur Seite gestanden, hat mir an lauen Sommerabenden das Fahrradfahren versüßt und wüsste ich, wie man meditiert, dann hätte ihre Falsett-Stimme mich mittlerweile sicherlich ins Nirvana transzendiert.

Grimes is like, you know, like.. kinda like.. it's like pewking rainbows


Ich muss wirklich sagen, dass es selten eine Künstlerin geschafft hat, mich so in ihren Bann zu ziehen, wie die gerade mal 24 jährige Kanadierin Claire Boucher, alias Grimes. Meine erste „Begegnung“ mit ihr passierte beim Durchstöbern diverser Musikblogs, wobei ich auf den Song Genesis stieß, der heute als eines der Zugpferde ihres dritten Album Visions gilt. War ich zunächst „nur“ entzückt vom Ohrwurmpotential diverser Genialitäten auf besagtem letzten Album, ist es hingegen endgültig um mich geschehen, als ich etwas tiefer in Grimes‘ Musik (nämlich in ihr noch psychodelischer angehauchtes vorletztes Album Halfaxa) eingetaucht bin. Ja, ich würde sagen, eintauchen ist wohl das treffende Wort.



"Grime" heißt auf Englisch "Schmutz / Ruß", bezeichnet aber auch eine Subart von HipHop / Garage aus London.

Grimes‘ Musik hört man nicht einfach, man legt sich in sie hinein. Man schwimmt darin, zieht ausgiebig seine Bahnen, bis man sich erschöpft und glücklich zum Trocknen in die Sonne legt. Nicht umsonst wird diese Neuentdeckung des letzten Jahres (ja, nach Österreich braucht halt alles immer ein bisschen länger) quer durch die Kritikerreihen in höchsten Tönen als noch nie dagewesener „hypnotischer Geisterpop“ gefeiert. Diese Umschreibung ist wohl Grimes‘ elfengleicher Stimme geschuldet, die sie in verzerrter Weise auch gleich als Instrument selbst in das hypnotische Klangbild ihrer Musik einarbeitet. Stakkatoartige, mitreißende Hintergrundbeats sind genauso charakteristisch für ihre Lieder, wie synthetische Sounds aus dem Keyboard, die sich in den zahlreichen übereinander gelegten Sphären eines einzigen Songs im maximal aufgedrehten Hall verlieren. Boucher selbst nennt es liebevoll ADD music“. Auch ihr Zugang zum Musik machen ist etwas verdreht: „I’ve been reading about phonetics, linguistics – when I hear music, I don’t hear the words. I need a specific sound, an “ah” or an “ooh”, and then [I wonder] how to get a word that’s that “ooh”. It’s hard to have that meticulous of an idea about enunciation when you’re trying to construct vocal parts.“ Letztendlich gelingt es ihr aber doch immer wieder, nicht zuletzt auch in ihren zahlreichen Kollaborationen mit Größen wie der schwedischen Sängerin Lykke Li, mit der sie letztes Jahr durch Nordamerika getourt ist, oder dem ebenfalls aus Kanada stammenden d‘Eon, für dessen Video zu Transparency sie Editor war.

Ich könnte mich jetzt bemühen, weiterhin diverses musikalisches Geschwurbel á la „Synthie-Lo-Fi meets atmospheric New Age Electro“ aus dem WWW zu kramen, aber leider spreche ich (noch) kein Musikalisch, ich höre es nur gerne. Außerdem ist das bei einer Künstlerin wie Grimes, die in ihrer Person schon so unsagbar schwer zu fassen ist, ein eher sinnloses Unterfangen. Ihre Musik ist wie Claire Bouche selbst: immer ein bisschen frenetisch, durcheinander und mit (musikalischen) Referenzen zu Björk oder Enya auf Drogen. „I go through phases a lot“, sagt Boucher - und mit ihr ihre Musik. Derzeit ist sie der Mode- und Fashionwelt recht zugetan. “I want to make Grimes a high-fashion sci-fi act“, behauptete sie kürzlich in einem Interview mit W Magazin. Ihr Sound untermalt derzeit auch eine aktuelle Fashionkampagne des kanadischen Labels complexgeometries, in der auch das genderlose Supermodel Andrej Petrovic zu sehen ist. Dass die Wahl gerade auf ihn / sie gefallen ist, liegt wohl an der Gemeinsamkeit der faszinierenden Undefinierbarkeit der beiden Künstler.


Grimes ist eine Frau, die viele kontroverse und herausragende Talente in sich vereint, sich aber hinter dem unsicheren Auftreten einer lispelnden 16 Jährigen mit abgekauten Fingernägeln versteckt. Der einzige Kritikpunkt meinerseits wäre ihr Hang, sich in Interviews immer wieder selbst ins Wort zu fallen - with like every like second word like being like „like“. Solange das sich aber nicht auf ihre Songs überträgt, macht sogar das sie in meinen Augen auf eine verschrobene Art liebenswert. Ihre Liebe zu „weird music“ entdeckte sie laut eigenen Angaben über‘s Ballett, wobei es ihr Strawinsky besonders angetan hat – ihre heutigen Vorbilder sind unter anderen Lil Wayne (on stage) und Mariah Carey (wohl wegen der hohen Tonlage, in der sich beide Damen üben). Der McGill University in Montreal, an der Boucher russische Literatur und Neurowissenschaften (!) studierte, wurde sie verwiesen, als das Musik machen zu viel Zeit in Anspruch nahm.

Da Grimes nicht nur musikalisch, sondern auch malerisch ziemlich artsyfartsy unterwegs ist und all ihre Albumcover selbst gestaltet, verrät die kyrillische Schrift auf ihrem aktuellen Visions-Cover Grimes‘ Werdegang: "Я лублю" (Ich liebe Dich) ist dort zu lesen, sowie ein Verweis auf das Gedicht "Но я предупреждаю вас..." (Aber ich warne euch ...) von Anna A. Achmatowa. Die letzten Verse davon lauten bezeichnenderweise nämlich: "Nicht als Schwalbe, / ... / Nicht als Glockenklang – / Werde ich die Menschen verwirren / Und die fremden Träume besuchen / Als unerfülltes Stöhnen."


So, und nun, meine Allerliebsten, breitet ihr am besten eure Flügelchen aus und startet eure eigene Rundreise durch die Welt von Grimes. Meine persönlichen Favorites, die ich euch mit auf den Weg geben möchte, sind (neben den bereits genannten) ihre aktuellen Songs Vanessa, Oblivion, Symphonia IX (live) oder Vowels = Space and Time. Ich würde aber empfehlen, mit folgender fantastischer Aufnahme live aus der Internetradiostation KEXP Seattle zu beginnen. Es ist eines meiner Lieblingsvideos von ihr, weil man hier auch gleich Zeuge ihrer überaus charmanten Tapsigkeit werden kann, die sie teilweise die Töne nicht ganz treffen oder Einsätze verpassen lässt, was dem musikalischen Erlebnis aber keinerlei Abbruch tut.



Und das Beste kommt natürlich immer zum Schluss: Guess who‘s going to go all fangirlcrazyswazy on her at the BERLIN FESTIVAL 2012 - ME(riam)! whoop whoop

Mittwoch, 30. Mai 2012

Die Krux mit der Kreativität


Liebe Leute,

wir haben uns entschlossen, heute mal den Künstler, Designer und Illustrator Christoph Niemann für uns sprechen bzw. zeichnen zu lassen. Dieser hat in einer hübschen Bilderstrecke zum Thema Kreativität im Zeit Magazin die ewige Krux mit der Schreibblockade wunderbar veranschaulicht. Wir finden seine Illustrationen aus gegebenem Anlass sehr passend – zumal gerade zu dieser Zeit im Jahr ja doch meist alles spannender ist, als ein ungeduldig blinkender Cursor auf dem weißem Hintergrund. 

Zugleich wollen wir mit diesem Posting weder Christoph Niemanns Talent, noch seine Genialität würdigen, sondern vielmehr die Anstrengungen und Pein anerkennen, die er sich mit seinem Beruf täglich auferlegt. Außerdem ist es als Möchtegern-Kreative einfach schön, sich in seinen Zeichnungen wiederzuerkennen und somit die Gewissheit zu erlangen: Wir sind nicht allein!

Allerbeste Grüße,
Miriam & Myra











Mittwoch, 23. Mai 2012

Die Pathologie des 21. Jahrhunderts III

von Miriam Pierra

3. Teil: Der Hamster und das Laufrad

Nun soll es ja tatsächlich Leute geben, die es geschafft haben, den regelrechten Spießrutenlauf der an allen Ecken und Enden lauernden Pathologien bravourös zu meistern. Sie sind dann also etwa Mitte bis Ende 20 und noch immer keiner der zahlreichen psychischen Störungen aus dem heute schier endlosen Repertoire erlegen. Sie waren brave, angepasste Kinder, fleißige Studenten und nun platzen sie fast vor lauter Motivation, endlich einen Senkrechtstart in Richtung Karriereolymp hinlegen zu können. Wenn diese Gewinnertypen jetzt nur ihre bisherige Strategie weiterverfolgen, immer schön artig und strebsam zu sein; wenn sie es schaffen auch in Zukunft so zu funktionieren, wie es von ihnen erwartet wird; und wenn sie es weiterhin schaffen, alle Ansprüche, die sie an sich selbst stellen auch zu erfüllen – dann, ja dann kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen ... oder?

Jetzt aber mal ehrlich: Die oben beschriebene Erfolgs-Strategie klingt doch ein wenig gar ehrgeizig. Löblich, fürwahr! Aber auch äußerst ambitioniert und ganz einfach kräftezehrend. Es verlangt nun mal einen Mordsbatzen Selbstdisziplin und vor allem Stressresistenz (vielleicht sogar einen leichten Hang zur Selbstgeißelung?), sich in unserer ohnehin schon schnelllebigen Welt dazu zu entschließen, sich für einer Art Langzeit-Hochgeschwindigkeits-Rennen einzuschreiben, auch bekannt als „Karriere machen“. Denn mir kann keiner erzählen, dass diese Prototypen, die immer alles erreichen und ganz vorne mit dabei sein wollen, nämlich der vielzitierte Top-Manager oder auch die erfolgreiche Karrierefrau, die nebenher noch Haushalt und Kind schupft, ein entspanntes, gemütliches Leben führen.

Wie? Erfolg auf der ganzen Linie soll nun auf einmal anstrengend sein? Karriere, Liebe, Geld, Familie, vielleicht sogar noch ein wenig Abenteuer zum Drüberstreuen – das sind doch alles so positiv konnotierte Dinge. Und Plus und Plus ergibt doch immer auch Plus, oder hab ich da im Matheunterricht was falsch verstanden? Des Pudels ominöser Kern ist die anfangs (im 1. Teil) erwähnte Herrschaft des Komparativs. Heutzutage wollen wir nicht mehr „nur“ glücklich sein, sondern glücklicher als die Anderen! „Erfolg“ wird als das Übertrumpfen anderer oder auch seiner eigenen Leistung definiert. Eine leidenschaftlichere Beziehung, eine harmonischere Familie, eine höhere Summe auf dem Gehaltsscheck. Stillstand kommt einem Scheitern gleich.

Humphrey, mach mal Pause!

Die Problematik führt man sich am besten mit dem Bild eines Hamsters im Laufrad vor Augen. Der Hamster – nennen wir ihn Humphrey – läuft also immer weiter, immer schneller in seinem kleinen Laufrad. Humphrey läuft und läuft und merkt dabei gar nicht, in was für einem Teufelskreis er steckt. Denn umso schneller er seine kleinen Füßchen bewegt, umso schneller dreht sich auch das Rad, in dem er sich befindet. Doch Humphrey ist nicht dumm. Hat er genug, steigt er einfach aus und kuschelt sich ins gemütliche Heu, um sich auszuruhen. Nur dürfen wir nicht vergessen: Humphrey ist ein Hamster und kein kleines Rädchen in einem riesigen Uhrwerk namens Leistungsgesellschaft. Dieser zutiefst natürliche Instinkt, einfach eine Verschnaufpause einzulegen, wenn man am Rande der Erschöpfung schon am Zahnfleisch kriecht, gilt als leistungsschwach und faul – es sei denn natürlich, man erholt sich mit Hilfe konsumierter Dienstleistungen, wie etwa in einem teuren Wochenend-Spa, und schmiert somit weiterhin das Laufrad unseres Wirtschaftssystem, auf dass es ewig weiter renne.

Apropos Wirtschaft: Es wäre ja gelacht, wenn sich aus dieser künstlich geschaffenen Problematik unserer Gesellschaft nicht auch irgendwie Profit schlagen ließe. Ich schulde euch nun schon seit über 4 Absätzen die entsprechende Pathologie, aber dieser Text handelt von einem ohnehin so stark vermarkteten Begriff, dass ihn sogar ein ADHS-krankes Schulkind schon mal im Wartezimmer seines Psychiaters aufgeschnappt haben könnte und schon längst wüsste, worum es hier geht: Das Burn-Out-Syndrom ist in den letzten paar Jahren zu einem der Modewörter schlechthin avanciert.

Doch wie sieht dieser Weg, von der Wortschöpfung diverser Marketingabteilungen von Pharmakonzernen hin zur international anerkannten und gefürchteten Krankheit, eigentlich aus?

Die meisten „Geisteskrankheiten“ werden im Rahmen von internationalen Psychiatrie-Kongressen durch Abstimmungen regelrecht „beschlossen“ (siehe Link 1). Ich möchte mir keinesfalls anmaßen, diesen Leuten ihren Expertenstatus abzusprechen. Pikanterweise werden diese Kongresse aber wohlgemerkt meist von Pharmakonzernen gesponsert, was einen doch stutzig werden lassen sollte. Die Krankheiten von morgen werden also im Rahmen solcher Treffen auf Einladung derer festgelegt, die später von deren Vermarktung profitieren werden. Objektive Erkenntnisse kommen anders zustande.

Das Burn-Out-Syndrom ist in meinen Augen ein klassischer Fall einer umsatzsteigernden Umschreibung für eine Nebenwirkung unserer modernen Gesellschaft. Der individuelle Stress und psychische Druck, den wir als Belastung empfinden, ist bei dem Lebensstil, der heutzutage in Wohlfahrtsgesellschaften gepflegt wird kein Wunder, geschweige denn eine Geisteskrankheit! Natürlich gibt es einzelne Fälle, die ernst zu nehmen sind, in denen Menschen seriöse psychologische Hilfe und Unterstützung brauchen. Nur klammere ich diese selbstverständlich aus, wenn ich kritisiere, dass diese Pathologie mittlerweile zum gefährlichen Trend verkommen ist.

Die Seite www.burnout.info (in Google eines der ersten Suchergebnisse und somit höchstwahrscheinlich auch eine der ersten Anlaufstellen für Leute, die sich informieren wollen, ob ihr Stress unter Umständen pathologisch sein könnte) trägt übrigens meines Erachtens nach zu diesem Hype bei, wenn sie etwa schreibt: „Immer mehr Menschen und Prominente leiden an dieser emotionalen und körperlichen Krankheit.“ Abgesehen davon, dass die Unterscheidung zwischen Menschen und Prominenten mehr als fragwürdig ist, klingt das in meinen Ohren eher nach Werbung als nach professioneller Beratung. Auch die Beschreibung, was denn alles kein Burn-Out-Syndrom ist, lässt zu wünschen übrig, wenn darin darauf verwiesen wird, dass es sich bei einem „Gefühl dauernder Erschöpfung“ vielleicht ja auch um die „eigenständige Erkrankung des chronischen Müdigkeitssyndroms“ handeln könnte. Von der Möglichkeit, dass man vielleicht einfach mal eine Pause brauchen und einen Gang runter schalten könnte, ist hier mit keinem Wort die Rede. Hier wird man von einer Krankheit an die nächste verwiesen.

Ein Hoch auf die Wurschtigkeit!

Angesichts der unzähligen, wenig seriösen „Wie Burn-Out gefährdet sind Sie?“-Tests, die über das ganze WWW verstreut sind, kann man sich nur schwer dem Gedanken entziehen, hier würde eine regelrechte Burn-Out-Propaganda betrieben. Man versucht ganz schamlos aus der Unsicherheit der Menschen Profit zu schlagen, indem man den Katalog der möglichen  Antworten auf die Frage „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ laufend erweitert – nur die Antwortmöglichkeit „Nix! Passt scho‘! Ois leiwand! Mach halt mal PAUSE!“, die fehlt. 


Wir haben verlernt uns zurückzulehnen, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Stattdessen zweifeln wir, orientieren uns an den Anderen, an der Gesellschaft, ohne diese zu hinterfragen.  Somit schmieren wir alle kräftig das Laufrad der Pathologie des  21. Jahrhunderts, sodass es immer weiter rennt und rennt ...

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1 http://www.gesundheitlicheaufklaerung.de/fakten-uber-adhs

Sonntag, 20. Mai 2012

Die Kunst einer Gruppenarbeit – Wenn die Geduld auf die Probe gestellt wird

von Myra Wiederholz

Im Tutorium zum Thema „Allmacht oder Ohnmacht der Medien“ kam erneut mein größter Feind zum Vorschein: Die Ungeduld. In der ersten Stunde des Tutoriums verbarg sich die Ungeduld noch im Hintergrund, um mir nicht jeglichen Spaß meiner studentischen Laufbahn zu nehmen. Doch das sollte sich im Verlauf der Wochen ändern. Ihr ist es nicht im Traum eingefallen, schleichend zu mir zu kommen, wie es der Tod normalerweise präferieren würde, sondern in einem Tempo, das selbst der Formel 1 Rennfahrer Sebastian Vettel nicht hätte einholen können. Als in der zweiten Stunde die ersten Sätze unterbrochen worden sind und einige Wortbeiträge meiner Mitstreiter kein Ende nahmen, wurde das erste Streichholz gezündet. Meine Hoffnung, es würde bei einer kleinen Flamme bleiben, wurde durch das Wort „Gruppenpräsentation“ zunichte gemacht. Die Teilnehmer wurden beauftragt, Präsentationen zu den Themen „Medienethik“, „Medienkompetenz“, „Wirklichkeitskonstruktionen“ und zu weiteren Formen von Medien zu erstellen. 

Für den einzelnen Krieger wäre diese Schlacht schnell gewonnen, für ein Heer dagegen scheint dieser Weg ausweglos und überschattet mit unüberbrückbaren Differenzen zu sein. Es wurden Menschen unterschiedlicher Fähigkeiten zusammengetrommelt, um die Aufgabe einer göttlichen Präsentation gerecht zu werden. Durch eine ausgeklügelte Methode hätten wir der Präsentation entgegentreten sollen, aber die Göttin Athene verweigerte uns die Geschicklichkeit. 


Als ob ich nicht mit meinem Erzgegner „Ungeduld“ schon genug gestraft worden wäre, traten mir zwei neue Feinde gegenüber: „Konflikt“ und „Zeitdruck“. Die beiden stellten sich als äußerst störrisch heraus und erstreckten sich wie eine Art Mauer vor mir. Anfänglich fühlte ich mich wie Batman ohne Robin oder Superman ohne Fähigkeiten, zumindest wie eine Person, die das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr erreichen wird. Aus Angst vor einem weiteren Urknall rauften wir uns als Kompagnons zusammen und versuchten den Feinden im Kampf der Titanen Widerstand zu leisten. Nach langem Zerren, fortlaufenden Wutausbrüchen, durch Teamwork und gegenseitige Unterstützung entschieden wir am Ende den Kampf für uns.

Doch wie sinnvoll ist Gruppenarbeit wirklich? Vor- und Nachteile des gruppenorientierten Arbeitens

 

Der Begriff Gruppenarbeit wird als die Summe aller sachbezogenen und koordinierenden Tätigkeiten definiert, welche von Gruppenmitgliedern ausgeführt werden, um zielbezogene Aufgaben zu erfüllen und somit Gruppenziele zu erreichen (Bürger, 1999: 22). Es ist anzumerken, „dass die Ziele der Gruppenmitglieder nicht übereinstimmen müssen, obwohl es im Regelfall eine Überlappung der Ziele geben wird (Bürger, 1999: 22).

Vorteile einer Gruppenarbeit
Nachteile einer Gruppenarbeit
Das Kollektive Wissen einer Gruppe ist größer als das Wissen eines Einzelnen
Eine Gruppe benötigt mehr Zeit, um zu einem Ergebnis zu gelangen
Eine Idee wird besser akzeptiert, wenn die involvierten Personen an der Ideenfindung beteiligt waren
Teilnehmende können sich gehemmt fühlen, Ideen zu äußern
Die Gruppe deckt ein breiteres Suchfeld ab
Gruppendruck verhindert ungewöhnliche Denkansätze
Risiken werden in der Gruppe fundierter bewertet
Vorgesetzte oder starke Persönlichkeiten können die Gruppe dominieren
Bei Weiterentwicklungen von Ideen fällt das Gruppenergebnis besser aus
Wirklich innovative Ideen werden oft abgeschwächt oder versinken in einem Kompromiss
Quelle: Scherer, Jiri (2007). Kreativitätstechniken. In 10 Schritten Ideen finden, bewerten, umsetzen. S. 18

Eine geläufige Technik einer Gruppenarbeit ist das sogenannte Brainstorming. In einem Brainstorming werden die Teilnehmer gebeten, in kürzester Zeit möglichst viele Ideen niederzuschreiben bzw. zu entwickeln. Der Erfinder des Brainstormings Alex Osborne hoffte, dass durch das Verbot jeglicher Art von Kritik während der Ideenfindungsphase die kreativen Kräfte freigesetzt werden, was trotz entsprechender Instruktionen nicht gelang. Laut der Bewertungsangsthypothese werden aus Angst vor Bewertung kreative und ungewöhnliche Ideen unterdrückt. 

Bei einer Vielzahl von Untersuchungen ist festgestellt worden, dass in Brainstorming-Gruppen viel weniger und auch weniger gute Ideen erzeugt werden als individuell.  In den frühen Untersuchungen identifizierten die Sozialpsychologen Michael Diehl und Wolfgang Stroebe Produktionsblockierung als Hauptursache. Die Produktionsblockierung ist eine „Verringerung der individuellen Produktivität und Kreativität beim Hervorbringen von Ideen; dies ist darauf zurückzuführen, dass sich Personen in interaktiven Brainstormingsitzungen gegenseitig unterbrechen und beim Reden abwechseln“ (Stroebe/Jonas/Hewstone, 2002: 518).

Meiner Ansicht nach ist Gruppenarbeit in Berufen nur dann sinnvoll, wenn Mitglieder unterschiedlicher (Arbeits-) Bereiche in einer Gruppe involviert sind und es zu effizienten und effektiven Lösungsansätzen kommt. Ansonsten ist Gruppenarbeit, zumindest im Studium „waste of time“, da sich manche Mitglieder innerhalb einer Gruppe kaum bis gar nicht engagieren oder motivieren können. Kurz: „Einer wird es schon machen“, die Gruppe wird eh gemeinsam bewertet und niemand kann angeschwärzt werden. Darüber hinaus kann im Studium keiner aus der Gruppe „entlassen“ bzw. „verbannt“ werden, da es ein unsoziales sowie ineffizientes Gruppenverhalten ist. 

Warum behandeln wir im Studium also das Thema „Gruppenarbeit“, wenn es im Gegensatz zum Beruf keine Konsequenzen für die Nicht-Mitarbeit gibt?