Mittwoch, 30. Mai 2012

Die Krux mit der Kreativität


Liebe Leute,

wir haben uns entschlossen, heute mal den Künstler, Designer und Illustrator Christoph Niemann für uns sprechen bzw. zeichnen zu lassen. Dieser hat in einer hübschen Bilderstrecke zum Thema Kreativität im Zeit Magazin die ewige Krux mit der Schreibblockade wunderbar veranschaulicht. Wir finden seine Illustrationen aus gegebenem Anlass sehr passend – zumal gerade zu dieser Zeit im Jahr ja doch meist alles spannender ist, als ein ungeduldig blinkender Cursor auf dem weißem Hintergrund. 

Zugleich wollen wir mit diesem Posting weder Christoph Niemanns Talent, noch seine Genialität würdigen, sondern vielmehr die Anstrengungen und Pein anerkennen, die er sich mit seinem Beruf täglich auferlegt. Außerdem ist es als Möchtegern-Kreative einfach schön, sich in seinen Zeichnungen wiederzuerkennen und somit die Gewissheit zu erlangen: Wir sind nicht allein!

Allerbeste Grüße,
Miriam & Myra











Mittwoch, 23. Mai 2012

Die Pathologie des 21. Jahrhunderts III

von Miriam Pierra

3. Teil: Der Hamster und das Laufrad

Nun soll es ja tatsächlich Leute geben, die es geschafft haben, den regelrechten Spießrutenlauf der an allen Ecken und Enden lauernden Pathologien bravourös zu meistern. Sie sind dann also etwa Mitte bis Ende 20 und noch immer keiner der zahlreichen psychischen Störungen aus dem heute schier endlosen Repertoire erlegen. Sie waren brave, angepasste Kinder, fleißige Studenten und nun platzen sie fast vor lauter Motivation, endlich einen Senkrechtstart in Richtung Karriereolymp hinlegen zu können. Wenn diese Gewinnertypen jetzt nur ihre bisherige Strategie weiterverfolgen, immer schön artig und strebsam zu sein; wenn sie es schaffen auch in Zukunft so zu funktionieren, wie es von ihnen erwartet wird; und wenn sie es weiterhin schaffen, alle Ansprüche, die sie an sich selbst stellen auch zu erfüllen – dann, ja dann kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen ... oder?

Jetzt aber mal ehrlich: Die oben beschriebene Erfolgs-Strategie klingt doch ein wenig gar ehrgeizig. Löblich, fürwahr! Aber auch äußerst ambitioniert und ganz einfach kräftezehrend. Es verlangt nun mal einen Mordsbatzen Selbstdisziplin und vor allem Stressresistenz (vielleicht sogar einen leichten Hang zur Selbstgeißelung?), sich in unserer ohnehin schon schnelllebigen Welt dazu zu entschließen, sich für einer Art Langzeit-Hochgeschwindigkeits-Rennen einzuschreiben, auch bekannt als „Karriere machen“. Denn mir kann keiner erzählen, dass diese Prototypen, die immer alles erreichen und ganz vorne mit dabei sein wollen, nämlich der vielzitierte Top-Manager oder auch die erfolgreiche Karrierefrau, die nebenher noch Haushalt und Kind schupft, ein entspanntes, gemütliches Leben führen.

Wie? Erfolg auf der ganzen Linie soll nun auf einmal anstrengend sein? Karriere, Liebe, Geld, Familie, vielleicht sogar noch ein wenig Abenteuer zum Drüberstreuen – das sind doch alles so positiv konnotierte Dinge. Und Plus und Plus ergibt doch immer auch Plus, oder hab ich da im Matheunterricht was falsch verstanden? Des Pudels ominöser Kern ist die anfangs (im 1. Teil) erwähnte Herrschaft des Komparativs. Heutzutage wollen wir nicht mehr „nur“ glücklich sein, sondern glücklicher als die Anderen! „Erfolg“ wird als das Übertrumpfen anderer oder auch seiner eigenen Leistung definiert. Eine leidenschaftlichere Beziehung, eine harmonischere Familie, eine höhere Summe auf dem Gehaltsscheck. Stillstand kommt einem Scheitern gleich.

Humphrey, mach mal Pause!

Die Problematik führt man sich am besten mit dem Bild eines Hamsters im Laufrad vor Augen. Der Hamster – nennen wir ihn Humphrey – läuft also immer weiter, immer schneller in seinem kleinen Laufrad. Humphrey läuft und läuft und merkt dabei gar nicht, in was für einem Teufelskreis er steckt. Denn umso schneller er seine kleinen Füßchen bewegt, umso schneller dreht sich auch das Rad, in dem er sich befindet. Doch Humphrey ist nicht dumm. Hat er genug, steigt er einfach aus und kuschelt sich ins gemütliche Heu, um sich auszuruhen. Nur dürfen wir nicht vergessen: Humphrey ist ein Hamster und kein kleines Rädchen in einem riesigen Uhrwerk namens Leistungsgesellschaft. Dieser zutiefst natürliche Instinkt, einfach eine Verschnaufpause einzulegen, wenn man am Rande der Erschöpfung schon am Zahnfleisch kriecht, gilt als leistungsschwach und faul – es sei denn natürlich, man erholt sich mit Hilfe konsumierter Dienstleistungen, wie etwa in einem teuren Wochenend-Spa, und schmiert somit weiterhin das Laufrad unseres Wirtschaftssystem, auf dass es ewig weiter renne.

Apropos Wirtschaft: Es wäre ja gelacht, wenn sich aus dieser künstlich geschaffenen Problematik unserer Gesellschaft nicht auch irgendwie Profit schlagen ließe. Ich schulde euch nun schon seit über 4 Absätzen die entsprechende Pathologie, aber dieser Text handelt von einem ohnehin so stark vermarkteten Begriff, dass ihn sogar ein ADHS-krankes Schulkind schon mal im Wartezimmer seines Psychiaters aufgeschnappt haben könnte und schon längst wüsste, worum es hier geht: Das Burn-Out-Syndrom ist in den letzten paar Jahren zu einem der Modewörter schlechthin avanciert.

Doch wie sieht dieser Weg, von der Wortschöpfung diverser Marketingabteilungen von Pharmakonzernen hin zur international anerkannten und gefürchteten Krankheit, eigentlich aus?

Die meisten „Geisteskrankheiten“ werden im Rahmen von internationalen Psychiatrie-Kongressen durch Abstimmungen regelrecht „beschlossen“ (siehe Link 1). Ich möchte mir keinesfalls anmaßen, diesen Leuten ihren Expertenstatus abzusprechen. Pikanterweise werden diese Kongresse aber wohlgemerkt meist von Pharmakonzernen gesponsert, was einen doch stutzig werden lassen sollte. Die Krankheiten von morgen werden also im Rahmen solcher Treffen auf Einladung derer festgelegt, die später von deren Vermarktung profitieren werden. Objektive Erkenntnisse kommen anders zustande.

Das Burn-Out-Syndrom ist in meinen Augen ein klassischer Fall einer umsatzsteigernden Umschreibung für eine Nebenwirkung unserer modernen Gesellschaft. Der individuelle Stress und psychische Druck, den wir als Belastung empfinden, ist bei dem Lebensstil, der heutzutage in Wohlfahrtsgesellschaften gepflegt wird kein Wunder, geschweige denn eine Geisteskrankheit! Natürlich gibt es einzelne Fälle, die ernst zu nehmen sind, in denen Menschen seriöse psychologische Hilfe und Unterstützung brauchen. Nur klammere ich diese selbstverständlich aus, wenn ich kritisiere, dass diese Pathologie mittlerweile zum gefährlichen Trend verkommen ist.

Die Seite www.burnout.info (in Google eines der ersten Suchergebnisse und somit höchstwahrscheinlich auch eine der ersten Anlaufstellen für Leute, die sich informieren wollen, ob ihr Stress unter Umständen pathologisch sein könnte) trägt übrigens meines Erachtens nach zu diesem Hype bei, wenn sie etwa schreibt: „Immer mehr Menschen und Prominente leiden an dieser emotionalen und körperlichen Krankheit.“ Abgesehen davon, dass die Unterscheidung zwischen Menschen und Prominenten mehr als fragwürdig ist, klingt das in meinen Ohren eher nach Werbung als nach professioneller Beratung. Auch die Beschreibung, was denn alles kein Burn-Out-Syndrom ist, lässt zu wünschen übrig, wenn darin darauf verwiesen wird, dass es sich bei einem „Gefühl dauernder Erschöpfung“ vielleicht ja auch um die „eigenständige Erkrankung des chronischen Müdigkeitssyndroms“ handeln könnte. Von der Möglichkeit, dass man vielleicht einfach mal eine Pause brauchen und einen Gang runter schalten könnte, ist hier mit keinem Wort die Rede. Hier wird man von einer Krankheit an die nächste verwiesen.

Ein Hoch auf die Wurschtigkeit!

Angesichts der unzähligen, wenig seriösen „Wie Burn-Out gefährdet sind Sie?“-Tests, die über das ganze WWW verstreut sind, kann man sich nur schwer dem Gedanken entziehen, hier würde eine regelrechte Burn-Out-Propaganda betrieben. Man versucht ganz schamlos aus der Unsicherheit der Menschen Profit zu schlagen, indem man den Katalog der möglichen  Antworten auf die Frage „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ laufend erweitert – nur die Antwortmöglichkeit „Nix! Passt scho‘! Ois leiwand! Mach halt mal PAUSE!“, die fehlt. 


Wir haben verlernt uns zurückzulehnen, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Stattdessen zweifeln wir, orientieren uns an den Anderen, an der Gesellschaft, ohne diese zu hinterfragen.  Somit schmieren wir alle kräftig das Laufrad der Pathologie des  21. Jahrhunderts, sodass es immer weiter rennt und rennt ...

________________________________________________________________________________
1 http://www.gesundheitlicheaufklaerung.de/fakten-uber-adhs

Sonntag, 20. Mai 2012

Die Kunst einer Gruppenarbeit – Wenn die Geduld auf die Probe gestellt wird

von Myra Wiederholz

Im Tutorium zum Thema „Allmacht oder Ohnmacht der Medien“ kam erneut mein größter Feind zum Vorschein: Die Ungeduld. In der ersten Stunde des Tutoriums verbarg sich die Ungeduld noch im Hintergrund, um mir nicht jeglichen Spaß meiner studentischen Laufbahn zu nehmen. Doch das sollte sich im Verlauf der Wochen ändern. Ihr ist es nicht im Traum eingefallen, schleichend zu mir zu kommen, wie es der Tod normalerweise präferieren würde, sondern in einem Tempo, das selbst der Formel 1 Rennfahrer Sebastian Vettel nicht hätte einholen können. Als in der zweiten Stunde die ersten Sätze unterbrochen worden sind und einige Wortbeiträge meiner Mitstreiter kein Ende nahmen, wurde das erste Streichholz gezündet. Meine Hoffnung, es würde bei einer kleinen Flamme bleiben, wurde durch das Wort „Gruppenpräsentation“ zunichte gemacht. Die Teilnehmer wurden beauftragt, Präsentationen zu den Themen „Medienethik“, „Medienkompetenz“, „Wirklichkeitskonstruktionen“ und zu weiteren Formen von Medien zu erstellen. 

Für den einzelnen Krieger wäre diese Schlacht schnell gewonnen, für ein Heer dagegen scheint dieser Weg ausweglos und überschattet mit unüberbrückbaren Differenzen zu sein. Es wurden Menschen unterschiedlicher Fähigkeiten zusammengetrommelt, um die Aufgabe einer göttlichen Präsentation gerecht zu werden. Durch eine ausgeklügelte Methode hätten wir der Präsentation entgegentreten sollen, aber die Göttin Athene verweigerte uns die Geschicklichkeit. 


Als ob ich nicht mit meinem Erzgegner „Ungeduld“ schon genug gestraft worden wäre, traten mir zwei neue Feinde gegenüber: „Konflikt“ und „Zeitdruck“. Die beiden stellten sich als äußerst störrisch heraus und erstreckten sich wie eine Art Mauer vor mir. Anfänglich fühlte ich mich wie Batman ohne Robin oder Superman ohne Fähigkeiten, zumindest wie eine Person, die das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr erreichen wird. Aus Angst vor einem weiteren Urknall rauften wir uns als Kompagnons zusammen und versuchten den Feinden im Kampf der Titanen Widerstand zu leisten. Nach langem Zerren, fortlaufenden Wutausbrüchen, durch Teamwork und gegenseitige Unterstützung entschieden wir am Ende den Kampf für uns.

Doch wie sinnvoll ist Gruppenarbeit wirklich? Vor- und Nachteile des gruppenorientierten Arbeitens

 

Der Begriff Gruppenarbeit wird als die Summe aller sachbezogenen und koordinierenden Tätigkeiten definiert, welche von Gruppenmitgliedern ausgeführt werden, um zielbezogene Aufgaben zu erfüllen und somit Gruppenziele zu erreichen (Bürger, 1999: 22). Es ist anzumerken, „dass die Ziele der Gruppenmitglieder nicht übereinstimmen müssen, obwohl es im Regelfall eine Überlappung der Ziele geben wird (Bürger, 1999: 22).

Vorteile einer Gruppenarbeit
Nachteile einer Gruppenarbeit
Das Kollektive Wissen einer Gruppe ist größer als das Wissen eines Einzelnen
Eine Gruppe benötigt mehr Zeit, um zu einem Ergebnis zu gelangen
Eine Idee wird besser akzeptiert, wenn die involvierten Personen an der Ideenfindung beteiligt waren
Teilnehmende können sich gehemmt fühlen, Ideen zu äußern
Die Gruppe deckt ein breiteres Suchfeld ab
Gruppendruck verhindert ungewöhnliche Denkansätze
Risiken werden in der Gruppe fundierter bewertet
Vorgesetzte oder starke Persönlichkeiten können die Gruppe dominieren
Bei Weiterentwicklungen von Ideen fällt das Gruppenergebnis besser aus
Wirklich innovative Ideen werden oft abgeschwächt oder versinken in einem Kompromiss
Quelle: Scherer, Jiri (2007). Kreativitätstechniken. In 10 Schritten Ideen finden, bewerten, umsetzen. S. 18

Eine geläufige Technik einer Gruppenarbeit ist das sogenannte Brainstorming. In einem Brainstorming werden die Teilnehmer gebeten, in kürzester Zeit möglichst viele Ideen niederzuschreiben bzw. zu entwickeln. Der Erfinder des Brainstormings Alex Osborne hoffte, dass durch das Verbot jeglicher Art von Kritik während der Ideenfindungsphase die kreativen Kräfte freigesetzt werden, was trotz entsprechender Instruktionen nicht gelang. Laut der Bewertungsangsthypothese werden aus Angst vor Bewertung kreative und ungewöhnliche Ideen unterdrückt. 

Bei einer Vielzahl von Untersuchungen ist festgestellt worden, dass in Brainstorming-Gruppen viel weniger und auch weniger gute Ideen erzeugt werden als individuell.  In den frühen Untersuchungen identifizierten die Sozialpsychologen Michael Diehl und Wolfgang Stroebe Produktionsblockierung als Hauptursache. Die Produktionsblockierung ist eine „Verringerung der individuellen Produktivität und Kreativität beim Hervorbringen von Ideen; dies ist darauf zurückzuführen, dass sich Personen in interaktiven Brainstormingsitzungen gegenseitig unterbrechen und beim Reden abwechseln“ (Stroebe/Jonas/Hewstone, 2002: 518).

Meiner Ansicht nach ist Gruppenarbeit in Berufen nur dann sinnvoll, wenn Mitglieder unterschiedlicher (Arbeits-) Bereiche in einer Gruppe involviert sind und es zu effizienten und effektiven Lösungsansätzen kommt. Ansonsten ist Gruppenarbeit, zumindest im Studium „waste of time“, da sich manche Mitglieder innerhalb einer Gruppe kaum bis gar nicht engagieren oder motivieren können. Kurz: „Einer wird es schon machen“, die Gruppe wird eh gemeinsam bewertet und niemand kann angeschwärzt werden. Darüber hinaus kann im Studium keiner aus der Gruppe „entlassen“ bzw. „verbannt“ werden, da es ein unsoziales sowie ineffizientes Gruppenverhalten ist. 

Warum behandeln wir im Studium also das Thema „Gruppenarbeit“, wenn es im Gegensatz zum Beruf keine Konsequenzen für die Nicht-Mitarbeit gibt?

Dienstag, 15. Mai 2012

„Mei Bier is ned deppat!“ und andere Wiener Weisheiten

von Miriam Pierra

Wiener Schnitzel. Sissi. Gulasch. Fiaker fahren. Kaffeehäuser. Kronen Zeitung. Melange. Mozartkugeln. Maibäume. Sängerknaben. Sound of Music. Kaiserschmarren. Grüner Veltliner. Alpen. Jodeln. Schifahren. Schweinsbraten. Apres Ski. Dirndln und Lederhosen.

Als ausgebildete Hotel- und Tourismusfachfrau sollte ich so oder so ähnlich einem jeden Asiaten mit Schlapphut, der mich mit großen Augen fragend ansieht, Schlagworte zu „Typisch Österreichisch“ herunterbeten können. Am besten noch mit direkter Wegbeschreibung und das in 4 verschiedenen Sprachen (wobei Ausdruckstanz nicht zählt). Aber um ehrlich zu sein, war ich nie wirklich gut in so etwas und jene Touristen, die sich jemals auf meine Wegbeschreibungen verlassen mussten, sind mittlerweile hoffentlich wohlbehalten zuhause angekommen – oder zumindest irgendwo sonst. Vielleicht liegt mein Ungeschick bezüglich „Österreich schmackhaft machen“ ja daran, dass ich mit dieser Bilderbuch-Alpenrepublik einfach wenig anfangen kann. Mit Ausnahme der Kaffeehäuser (inklusive grantigen Kellner) und des Gedanken an schneebedeckte Berge oder an diverse Gaumenfreuden, empfinde ich die oben genannten Aspekte der heimischen Kultur als zu touristisch, zu aufgesetz. Aufzählungen wie der obigen zufolge, müssten Herr und Frau Österreicherin nämlich den ganzen Tag damit zubringen, in Tracht jodelnd im Fiaker um den Stephansdom zu kreisen und dabei eine Flasche Zweigelt nach der anderen zu köpfen.

Nur eine Sache gibt es, die mein Herz vor Freude hüpfen lässt, die mich zur Patriotin mit stolz geschwellter Brust mutieren lässt. Leider ist es ein trauriger Anlass, der mich endlich dazu bewegt, diese Rubrik um dieses Stück echten österreichischen Kult zu bereichern. Es handelt sich dabei um ein so unverwechselbar urwienerisches Stück Kultur – ach, nennen wir es doch gleich Hochkultur – dass sich sogar mir, ob meiner Herkunft vor Stolz unweigerlich die Wangen röten.

 Karl Merkatz (Mundl Sackbauer) und Ernst Hinterberger (1931 - 2012)

Der zutiefst geniale und auf eine ehrliche und ungeschminkte Weise gesellschaftskritische Autor, Ernst Hinterberger, geistiger Vater von Edmund „Mundl“ Sackbauer, ist diesen Montag, den 14. Mai 2012, 80 jährig in Lainz verstorben. Er hinterlässt die wohl einprägsamste österreichische Kultfigur des (zumindest) letzten Jahrhunderts und geschätzte 1,714 Millionen (und ein paar zerquetschte) WienerInnen, die tagtäglich bereitwillig das Erbe des Antihelden antreten. Man braucht nur den Blick aus dem Fenster und über die Straßen Wien gleiten lassen, um die (wohl erst auf den zweiten Blick) subtile Genialität Ernst Hinterbergers zu erkennen, die ihn seinen Roman „Das Salz der Erde“ schrieben ließ. Dieser diente letztlich auch als Drehbuch für die 1975 bis 79 gedrehte Fernsehserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“, eine der erfolgreichsten ORF-Produktionen in der Geschichte des Rundfunksenders. Die insgesamt nur 24 abgedrehten Folgen erzielen noch heute, als Wiederholungen ausgestrahlt, nahezu ungeschmälerten Publikumserfolg. Die Sendung war damals ein bewusster Bruch mit dem bis dahin von den amerikanischen Seifenopern propagiertem Bild einer „happy familiy“. Die Situationen, die Hinterberger seinen Protagonisten, den ewigzornigen, trinkfesten Grantscherben Mundl, und seine Familie (u.a. Ehefrau Toni, Tochter Hanni, Sohn Karli, Bruder Schani und diverse Schwiegertöchter, -söhne und „Nudelaugen“) durchleben lässt sind geradezu banal in ihrer Alltäglichkeit. Da ist es etwa ein feuchtfröhlicher Silversterabend im Gemeindebau mit Familie Sackbauer, anhand dessen ein Bild der Wiener Mentalität gezeichnet wird, das in seiner Wahrhaftigkeit schlicht zum Niederknien ist.



Sogar ins Kino haben es die Sackbauers geschafft, gleich 2 mal in den letzten 4 Jahren. Allerdings muss ich zugeben, weder „Echte Wiener - Die Sackbauer-Saga“ noch „Echte Wiener 2 – Die Deppat‘n und die Gspritzt‘n“ (was für ein Titel <3) gesehen zu haben (Schande über mein Haupt), weil allein schon die Kritiken beider Teile mein schönes Bild des immer launischen, unermüdlichen Arbeiterklassen-Cholerikers ins Wanken zu bringen vermochten: Der mittlerweile 82 jährige Schauspieler Karl Merkatz, der Mann, der dem echtesten aller Wiener Leben eingehaucht hat, wie es kein anderer sonst geschafft hätte – er sei alt geworden und mit ihm die mich immer so herrlich amüsierenden, aber auch immer spärlicher gesähten Mundl‘schen Ausfälle und Wutausbrüche ... *Finger in die Ohren steck und lalalalala sing* Um diese Wahrheit akzeptieren zu können, ist mir die Figur des grantigen Familienoberhauptes, das immer eine Lebensweisheit zum Besten zu geben weiß, zu sehr ans Herz gewachsen. Ganze Generationen von Österreichern durften in den Genuss dieser kommen. Wann immer heute jemand in einer überfüllten Straßenbahn lauthals zu gröhlen beginnt: „Mei Bier is ned deppat!“, so kann er sich sämtlicher Sympathiepunkte aller in besagter Bim befindlicher echter Wiener sicher sein.

(Neben der Bündelung sämtlichen „Wiener Schmähs“ in nur einer einzigen Kultfigur, gelangen Ernst Hinterberger zudem viele weitere große Erfolge in Österreich, wie etwa die 1992 bis 99 ausgestrahlten TV-Serie „Kaisermühlen Blues“. Diese bedürfte hinsichtlich der Vielfältigkeit des angebotenen Rollenspektrums – von der neugierigen Hausbesorgerin bis hin zum altbewährten Sujet des Wiener Proleten – einen eigenen Beitrag, und ist doch der Vollständigkeit halber auch an dieser Stelle zu erwähnen.)

Montag, 14. Mai 2012

Die Kunst, mit Kommunikationsstrategien zu überzeugen


Wenn Kommunikationsagenturen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben

von Myra Wiederholz

Die Dunkelheit macht sich breit, ein kalter Wind bläst durch mein Redaktionszimmer und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Die Angst steht mir förmlich ins Gesicht geschrieben und im inneren meines Körpers wird eine Massenpanik ausgelöst. Grund für meine aufsteigende Furcht ist die Zusammenkunft mit dem Geschäftsführer der Rosam Change Communications GmbH. Wolfgang Martin Rosam (kurz: Wolfgang Rosam) ist nicht irgendein PR-Experte oder Lobbyist in Österreich - er ist die Koryphäe der beiden Formen der Interessenvertretung und der Spezialist, dieses Image akribisch zu wahren.
Auf 12 Uhr ist der Termin angesetzt und wie ich vermute, wird es sich der Herr nicht nehmen lassen, außerordentlich pünktlich zu erscheinen. Noch drei Minuten.

Es ist nun 11.58 Uhr und die Redaktionstür öffnet sich wie die Zauberkugel der Miniplaybackshow. Zunächst vom inexistenten Nebelrauch erschlagen, löst sich allmählich der Dunst aus meinem Blickfeld und der Star der heutigen Show betritt den Raum. Mit seinem Gel im Haar könnte er der gesamten Besetzung „Grease“ Konkurrenz machen. „Bin ich zu früh?“ – „Ach Unsinn, wie kommen Sie denn darauf? Sie, der selbsternannte Jetsetter und PR-Guru, haben doch eine lederbesetzte Breitling-Uhr am linken Armgelenk und wissen somit ganz genau, wie spät es ist. Wie könnte ich Ihnen also unterstellen, eventuell zwei Minuten zu früh zu sein?“ Stattdessen setze ich mein freundliches 08/15-Lächeln auf und spüre wie der Satz „Nein, Sie sind angenehm pünktlich“  über meine Lippen geht. „Angenehm pünktlich?“ – Hervorragend Wiederholz, nächstes Mal solltest du an deiner Wortwahl arbeiten. Wie auch immer. „Es wird Sie doch nicht stören, Frau Wiederholz, wenn mein Kollege Dietmar Ecker demnächst dazu stoßen wird?“ – „Fantastisch, das Äquivalent zu Ihnen. Dietmar Ecker - der  ehemalige Politikberater der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), der Medienberater von Natascha Kampusch („Handel mit Emotionen“ – wie gewinnt man sonst die Herzen der Zuschauer?) und Ihr Geschäftspartner bei Leading Advisors Group (Lead). Zwei leicht narzisstisch angehauchte Herrschaften, die sich das Reich der Gesellschaftsanteile der erfolgreichsten Kommunikationsagenturen Österreichs teilen, an einem Tisch? Bei einem 20-minütigen Interview? Traum.“ „Überhaupt kein Problem. Es ist mir eine Ehre, ein weiteres Mitglied des Lead-Unternehmens kennenzulernen“, bringe ich gekonnt hervor.

Herr Ecker lässt nur vier Minuten auf sich warten und selbst sein Auftritt ähnelt dem eines Superstars. Nur noch 16 Minuten Interview. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das Gespräch aufzeichne (da ich befürchte, die Hälfte des Gespräches nicht zu verfolgen und meine Synapsen im Gehirn „Krieg der Sterne“ spielen zu lassen)?“ Beide gewähren mir meinen Wunsch und wir schreiten unentwegt zur Tat über. In unserem Interview geht es um die Führung ihrer Unternehmen und vor allem ihres erst 2009 gegründeten Unternehmens Leading Advisors Group (Lead), das Kommunikationsagenturen aus den Branchen PR, Lobbying, Marktforschung, Coaching, Strategieberatung und den sogenannten Public Affairs vereint. Mit der Gründung von der Leading Advisors Group ist eine Nische gefüllt worden, die es auf dem österreichischen Markt bis dato so nicht gegeben hat. Der Zusammenschluss mehrerer Kommunikationsdienstleistungen führt zu einer möglichen Machtkonzentration innerhalb Österreichs. Neu ist eben auch die aktive Nutzung der Markt- und Meinungsforschung als Instrument des Lobbying und der PR. Während des ganzen Interviews kommt ihr allgemeiner  Selbstzentrismus genauso wenig zum Vorschein wie meine Vorliebe für gedanklichen Sarkasmus.

Aber was ist Lobbyismus und Public Relation überhaupt?


„Lobbyismus“ wird in der Presse negativ behandelt, da Lobbyisten und Interessengruppen dem Gemeinwohl (der Öffentlichkeit) widersprechen. Der Begriff wird nicht nur mit heimlicher Macht und illegitimen Interessen in Verbindung gebracht, sondern steht unter Verdacht, Korruption und Patronage zu betreiben (Vgl. Lösche, 2007: 9). Wie kann man nur so etwas bei Ländern wie Österreich oder Deutschland vermuten? Dabei ist doch „Lobbyismus elementares, legitimes Mittel einer Demokratie“ (Lösche, 2007: 20).
Vertreter der Lobbyismus-Gesellschaft „richten sich also primär ‚an den Staat’, an Mitglieder der Legislative und Exekutive sowie an deren Mitarbeiter auf allen Ebenen des politischen Systems“ (Lösche, 2007: 20). Das Betreiben von „Lobbying findet immer situativ, in einem bestimmten ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontext zu einem konkreten Zeitpunkt statt“ (Lösche, 2007: 21).

Öffentlichkeitsarbeit bzw. Public Relation wird häufig als Synonym für Lobbyismus verwendet. Dabei widmet sie sich nicht nur der Politik, sondern der allgemeinen „Selbstdarstellung partikulärer Interessen durch Information, wobei als Mittel alle Techniken und Formen schriftlicher, mündlicher, fotografischer, filmischer und audiovisueller
Publizistik sowie interpersonaler Kommunikation denkbar sind“ (Burkart, 2002: 292). Sie zielt darauf ab, „die Öffentlichkeit bzw. relevante Gruppen (sog. ‚Teilöffentlichkeiten’) durch die Darstellung der eigenen Interessen zu beeinflussen, um diese letztlich irgendwann durchsetzen zu können“ (Burkart, 2002: 292). Kurz: Die synonyme Verwendung ist gerechtfertigt.

Lobbyismus und Public Relation werden aufgrund ihrer Aufgaben/Schwerpunkte als fünfte Großmacht, neben der Legislative, der Exekutive und Judikative sowie der Presse und den Medien gleichsam, etabliert (Vgl. Lösche, 2007: 10)
„Die Macht dieser fünften Gewalt wird weiter wachsen, weil in komplexen Situationen alle Akteure im Entscheidungsprozess strukturell überfordert sind. Die Unternehmen suchen genauso nach neuer Übersicht, wie diejenigen politischen Akteure, die immer neue Ausdifferenzierungen von Regelwerken und „Zumutungen“ ihrer Bürokratie bewältigen müssen“ (Leif/Speth, 2006: 16).
Ronneberger hält die Public Relation und den Lobbyismus für eine durchaus brauchbare Sache, die allerdings unter einem schlechten Ruf leiden (Vgl. Ronneberger/Rühl, 1992: 9) und in der Presse maßlos übertrieben dargestellt werden (Vgl. Lösche, 2007: 10).

Wie Ronneberger bin ich auch der Ansicht (wie sollte es auch anders sein?), dass Lobbying und PR notwendig für unsere Gesellschaft ist und sich auch in Zukunft enorm expandieren wird. Was allerdings zu denken gibt, ist die Schaffung eines Monopols seitens der Kommunikationsberater Rosam und Ecker. Sie sind nicht nur Gesellschafter ihrer eigenen Kommunikationsfirmen, sondern auch von anderen bedeutenden Kommunikationsagenturen. Der Wettbewerb in einem so kleinen Land wie Österreich muss weiterhin gewährleistet sein und gefördert werden. Die Begriffe PR und Lobbying werden in der Öffentlichkeit bereits verteufelt, sind mit negativen Attributen besetzt und dürfen durch Selbstdarsteller wie Wolfgang Rosam nicht noch mehr in den Dreck gezogen werden. Man muss sich dennoch eingestehen: Wolfgang Rosam und Dietmar Ecker beherrschen nun einmal die Kunst, mit Kommunikationsstrategien zu überzeugen. Nur stellt sich die Frage, ob bei ihnen „Überzeugung“ ein Euphemismus für „Manipulation“ ist?


Mittwoch, 9. Mai 2012

Die Pathologie des 21. Jahrhunderts II

von Miriam Pierra 
2. Teil: Bummelstudent 2.0

Wir haben also im ersten Teil gelernt, dass Kinder, die Probleme mit dem Stillsitzen haben, potentiell gefährdet sind an einer heimtückischen Krankheit namens ADHS zu leiden, und dass es daher das Beste für die Kleinen sei, ihnen provisorisch mal eine Ladung Tabletten in den Rachen zu werfen – sicher ist sicher. Und auch verständlich: Wer hat heutzutage schon noch Zeit sich mit seinen eigenen Kindern auseinanderzusetzen, geschweige denn sie zu erziehen? Lass mal lieber den Onkel Doktor machen, der wird ja schließlich auch dafür bezahlt!

Ich war übrigens ein schreckliches Kind. Sogar im Kindergarten erinnern sich die Tanten noch heute an mich und meine Brüder. Die Schmidʻsche Sippe hinterließ eine Schneise der Verwüstung, wo immer wir eingeschult wurden. Heute rechne ich meinen Eltern hoch an, dass sie sich den verzweifelten Griff zum Kindertablettendöschen doch immer irgendwie verkneifen konnten. Doch nur weil ich meine Schulzeit ohne psychiatrische Atteste überstanden habe, darf ich mich offensichtlich noch lange nicht in Sicherheit wiegen. Vor kurzem stieß ich nämlich auf diesen Artikel im Online Unispiegel (siehe Link 1):

>> Massenleiden Prokrastination 
Auf geht's, Aufschieber
An diesem Nachmittag soll die Hausarbeit endlich fertig werden, schließlich war sie schon im letzten Semester fällig. Der Computer läuft, das Textdokument wartet, doch dann wandert die Maus noch kurz zu Facebook, das Telefon klingelt, und der Kühlschrank will auch noch gefüllt werden. Irgendwann ist der Tag um, das Dokument immer noch leer. Bummelstudent, hieß es früher verniedlichend. Mittlerweile sprechen Psychologen von Prokrastination, krankhaftem Aufschiebeverhalten. <<

Nun haben also auch wir Studenten unser exklusiv eigenes Leiden. Wo man früher „verniedlichend“ vom „Bummelstudenten“ sprach, wird heute das Kind beim Namen genannt: Prokrastination ist eine Krankheit! Eine Störung der Selbstorganisation, die man bitte keinesfalls unterschätzen darf! Weit mehr die Hälfte (über 60 %) der befragten StudentInnen berichten laut einer Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg davon, „dass sie Wichtiges liegenlassen und lieber Nebensächliches erledigen. Fast ebenso viele klagen über Konzentrationsschwierigkeiten und leichte Ablenkbarkeit.“ (siehe Link 2).

Darüber wann genau die Untersuchung durchgeführt wurde, finden sich übrigens keine Angaben. Da drängt sich mir die Frage auf: Gilt es auch als „leichte Ablenkbarkeit“, wenn mich die ersten wärmenden Sonnenstrahlen im Jahr von meinem Schreibtisch locken, ähnlich einer Comicfigur, die einer süßen Duftspur hinterher schwebt? Oder wenn draußen dicke Schneeflocken von Himmel fallen und es mich plötzlich unweigerlich in den Zehen juckt und ich schwören könnte, mein Snowboard rufen gehört zu haben?

Betroffenen Studenten beschreiben der Zustand unweigerlicher Lethargie so: „Ich bin absolut bereit, loszuarbeiten, und mein Körper bewegt sich nicht. Der Zeigefinger klickt einfach auf die linke Maustaste und schiebt mich zur nächsten WWW-Seite." (siehe Link 1) ... Ja, was denn?! So ein schlimmer Finger aber auch! Ich wage jedoch zu behaupten: Ein solch schwarzes Schaf befindet sich höchstwahrscheinlich an der ein oder anderen Extremität eines jeden von uns.




Die (bislang einzige) Prokrastinationsambulanz der Universität Münster hingegen nimmt das alles sehr ernst. Innerhalb von 6 Jahren will sie bereits rund 500 Studenten erfolgreich behandelt bzw. geheilt haben. Ich möchte an dieser Stelle übrigens auch anmerken, dass ich keiner unter akutem Motivationsmangel leidenden Person ihre Qualen absprechen möchte! Jawohl, es ist schon wirklich zaach, wenn man sich nicht ums Verrecken aufraffen kann, etwas zu erledigen, das man wohl schon längst unter Dach und Fach gebracht haben sollte.

In meiner Wohnung stapeln sich z.B. nach wie vor die Unterlagen aus über 5 Jahren Oberstufen-Schulunterricht – und nein, ich kann sie nicht einfach getrost in den Müll schmeißen, ohne sie vorher einmal auf eventuell noch Brauchbares durchforstet zu haben. (Ich verweise bei dieser Gelegenheit auf meinen – vielleicht ja auch ganz schrecklich pathologischen? – Papierfetisch.) Obwohl ich mir schon mehrmals den Zeh daran gestoßen habe, habe ich aus irgendeinem Grund noch nicht die Zeit gefunden, diesen riesigen Haufen an Staubfang auch tatsächlich auszumisten. Das belastet mich, ja wirklich! Psychisch, weil ich das Gefühl habe, die vorwurfsvollen Blicke des Haufens auf mir zu spüren, der nun schon seit Jahren ein Leben im Schwebezustand („Mist oder Mehrwert?“) führen muss, sowie physisch (siehe Zeh). Ich wehre mich jedoch dagegen, mir von einem Konglomerat an Seelenklempnern einreden zu lassen, dass ich mich deshalb mit einem speziell ausgebildeten Arzt darüber unterhalten sollte – für schlappe 75 € aufwärts die Stunde.
________________________________________________________________________________
1 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,823956,00.html
2 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,656559,00.html

Sonntag, 6. Mai 2012

Wenn 'Individualisten' zu einer Mainstream-Gesellschaft avancieren


Meine Beobachtungen auf dem Weg zur Universität:
Hipster - Wenn ‚Individualisten’ zu einer Mainstream-Gesellschaft avancieren

von Myra Wiederholz

Es weht eine leichte Brise in die Gesichter der Menschen, die ersten Sonnenstrahlen dringen durch die Wolken und die „Wayfarer“ meines Vertrauens bahnt sich den Weg aus ihrer Etui-Hülle. Auf dem Weg zur Straßenbahn, die sich in zehn Meter Reichweite befindet und mir meinen 12-minütigen Fußweg zur Universität auf drei Minuten reduziert (effizientes Zeitmanagement: eine neunminütige Auseinandersetzung mit meiner Schlummertaste), kommen mir akkurat gekleidete Herrschaften dieser Gesellschaft entgegen. Keine Individualisten weit und breit. Mit meiner orangefarbenen Röhrenjeans, die farblich gesehen an die fade Miracoli-Soße erinnert, könnte ich leicht hervorstechen. Aber nur leicht.

Die Uhr schlägt 8.53 Uhr, eine für Studenten recht unchristliche Zeit, wie sich auch auf den Straßen Wiens erkenntlich macht. Die Straßenbahn türmt sich vor mir auf und die von mir geglaubte zeiteinsparende Entscheidung sollte mit dem unentwegten Massenandrang negativ ausgeglichen werden. Was habe ich mir auch dabei gedacht, ein öffentliches Verkehrsmittel um diese Uhrzeit in Erwägung zu ziehen?! In meinen Augen ist "Zu fuß gehen" also der neue Trend, der jeglichen Körperkontakt und die Vermischung neu entstandener Gerüche vermeidet. Doch bereits im Sog der Masse eingetaucht, bemerke ich neben meiner aufkommenden Bewusstlosigkeit, wie Taschen potenzielle Sitzplätze belegen und meine Geduld auf die Probe gestellt wird. „Es sind nur drei Minuten Fahrt", schwirrt es mir durch den Kopf – ein kläglicher Versuch meine morgendliche Kalkulation in ein positives Licht zu rücken.
Die Durchsage "Schottentor“ befreit mich aus meinem Gedankengang und den Fängen menschlichen Schweißes. Flüchtend in Richtung Universität begegne ich erneut einer Menschenmasse, die mich mit Flyer und Zeitungen eindecken oder mich als neues Parteimitglied vereinnahmen will.[1]

Im Universitätsgebäude angekommen, lege ich mir erbärmlicherweise selbst eine passende Ausrede zurecht, um den Aufzug zu benutzen. Als ob die schwere Ledertasche wahrhaftig der Grund für die Wahl des Fahrstuhles gewesen sei anstatt der Bequemlichkeit. Der Aufzug stoppt und ich bilde mir ein, die Worte des Navigationssystems „Sie haben das Ziel erreicht“ zu hören.
Universitätsausweis vorgezeigt und den Schlüssel vertrauenswürdig entgegen genommen, begebe ich mich zur 476. Eine Nummer, die sich in der letzten Ecke des Raumes befindet und mir das Gefühl gibt, 40 Jahre durch die Wüste zu wandern. In der Bibliothek stürze ich mich mit Sack und Pack auf meinen Lieblingsplatz und besetze mit universitären Unterlagen, Taschentüchern und Zeitungen vier Plätze für meine Freunde. Durch mein asoziales Verhalten, Plätze für ein paar Stunden zu belegen, ist mir der Hass anderer Studenten sicher. Der Tag kann also beginnen.

Mein Blick wandert nach oben und eine neue Sorte von Studenten infiltriert den Raum; Studenten, die sich von der Masse abheben und mich im Idealfall als Verfechterin der Konsumgesellschaft sehen: Es sind Studenten der sogenannten und selbsternannten Hipster-Szene! Hipster sind in der heutigen Zeit Menschen, die sich durch ihren Geschmack, ihr Intellektualismus, ihr soziales Verhalten, ihr lässiges Auftreten, ihre ‚Coolness’ und vor allem durch ihre Individualität auszeichnen. Kurz: Nonkonforme Bürger, Revolutionäre, anders Denkende – zumindest in ihrer Vorstellung.

 

Woher stammt eigentlich der Begriff Hipster? 


Der Journalist Anatole Broyard hat den Ausdruck 1948 in seinem Aufsatz ‚A Portrait of the Hipster’ geprägt. In seinem Aufsatz thematisiert er die Jazz-Subkultur, die sich durch eine Art des kulturellen Widerstands gegen die weiße Vorherrschaft auflehnt. 1957 bezeichnete der Autor Norman Mailer, der auch ein bedeutender Vertreter des New Journalism war, in seinem gleichnamigen Essay den Hipster als White Negro. Sein Werk machte einerseits diese Lebensform für Weiße zugänglich, andererseits erfüllte es die rassistischen Klischees eines Schwarzen, nämlich erotisch, gefährlich und authentisch zu sein.

„Den Hipstern der Nullerjahre dient nicht mehr der Afroamerikaner, sondern die weiße Unterschicht, der White Trash , als stilistisches Vorbild.“[2] Ihr äußeres Erscheinungsbild wird durch Schnauzer, Skinny Jeans, lockeren Shirts, Jutebeutel und einer Nerdbrille individualisiert. Es ist die Rede von Caucasian Kitsch.
„In der ironischen Aneignung der kulturellen Codes der Unterschicht durch die meistens aus der Mittelschicht stammenden Hipster drückt sich eine neue Grenze aus.“[3] Statt einer rassenspezifischen geht es in der neuen Szene um die klassenspezifische Orientierung. Der damalige „Hipster“ -Begriff wird heute anders interpretiert.

Die Tische der Bibliothek sind mit den neuen Hipstern übersäht, die sich mit ungewöhnlichen Arbeitsmaterialien auseinandersetzen: Macbooks, an denen die Ladekabel der I-Phones angeschlossen sind, (wenn vorhanden) I-Pads, College-Blocks, Stift und Marker. Eine wirkliche Rarität unter den Studenten und Studentinnen dieser Universität. Ihr Durst wird mit Bionade, Chai-Tee oder Kaffee gestillt und ihre Pausen mit dem Konsum von Zigaretten befriedigt. Genervt von ihrer Attitüde trinke ich aus meiner Cola-Light und versuche mich auf das Lernen zu konzentrieren. 

Während des Lernens stelle ich fest, mit meiner heutigen Wahl  (Apple Macbook, zwei Blackberries[4], Qualitätszeitung, farbige Röhrenjeans, Ledertasche, lockeres gestreiftes Shirt, Blazer, goldfarbene Uhr, Wildlederschuhen, Burlington-Socken, Wayfarer, Haare zum Dutt an der oberen Kopfstelle) ins Schwarze zu treffen und die Eintrittskarte in die sagenumwobene Hipster-Szene zu erhalten. Der Unterschied zu dieser „Subkultur“ ist mein ordentlich gebügeltes Outfit, die legendäre Bügelfalte in meiner Jeans und die bereits genannten Zierstücke -  Merkmale, die mich wiederum Teil einer versnobten Gesellschaft werden lassen. Es scheint, als sei ich ein verkommenes Werk Picassos oder das Aushängeschild einer verkappten „Möchtegern-Hippen-schnöseligen“ Gesellschaft (kurz: Produkt des schlechtes Geschmacks)?

Ihr Faible für Bücher, für gute Musik, die Retroaffinität (Mac und I-Phone sind nicht retro!) und ihr „extraordinärer“ Kleidungsstil spiegeln keine Individualisten wider, sondern lediglich Angehörige einer gegenwärtigen Mainstream-Gesellschaft oder schlichten Konsumgesellschaft. Auch ich präferiere Bücher/Zeitungen, einen bestimmten Stil, dennoch vertrete ich keine scheinheilige Unterkultur und weigere mich auch der Titulierung.

Meine Aversion richtet sich nicht gegen die einzelnen Personen, sondern gegen den Hype „Hip“ zu sein oder sich als „Hipster“ zu glorifizieren, um ein gewisses Statement zu setzen. Authentizität ist die Devise! Im Endeffekt sind Hipster alle gleich, Sardinen aus der Konservendose, die es auch noch durch ihre Art und Vorlieben unterstreichen. Ein Individualist ist (par Definition) jemand, der einen persönlichen Lebensstil entwickelt, sich von anderen abhebt, seine eigenen Interessen verfolgt und keiner bestimmten Linie nacheifert. Aber wie kann sich einer von anderen abheben, wenn er derzeitig ein gesellschaftliches Massenphänomen vertritt und Konformität reflektiert?   

Um Individualist zu sein, muss man keinen spielen. Man ist schon von der Geburt an einzigartig! 
____________________________________________________________________________________

[1] Als Deutsche werde ich keiner österreichischen Partei angehören, schon gar nicht einer Kommunistischen oder Rechten.
[2] zeit.de zum Thema „Hipster“; mehr unter http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-10/hipster
[3] zeit.de zum Thema „Hipster“; mehr unter http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-10/hipster
[4]Life was much easier when Apple und Blackberry were just fruits“

Donnerstag, 3. Mai 2012

Die Pathologie des 21. Jahrhunderts I

von Miriam Pierra

Größer, besser, schneller, mehr! Längst haben wir uns ihm wohlwollend unterworfen - dem gesteigerten Komparativ. Er ist es, der unsere Gesellschaft, unsere Arbeitswelt, ja sogar unsere intimsten Beziehungen dominiert. Ein eintöniger, dafür gesicherter Arbeitsplatz? Für viele unter uns (inklusive meiner Wenigkeit) heutzutage ein Gräuel! Eine langfristige Beziehung; sich für die eine Person aufsparen? Ja, aber all die vielen Möglichkeiten, die man so verpassen könnte..!
Wir leben in einer Optionsgesellschaft. An jeder Straßenecke blinken grelle Leuchtreklamen, in unseren Wohnzimmern flimmern Werbespots über den Bildschirm; sie alle verheißen uns das große Glück – solange wir nur unzufrieden sind und bleiben mit dem, was wir denn haben.

Nun gut, dass unsere Gesellschaft hinsichtlich unserer Fähigkeit dankbar und zufrieden zu sein verkommt, das ist ja längst nichts neues mehr. Sozialwissenschafter untersuchen diesen Verfall schon seit Jahrzehnten. Ein Aspekt, der mir allerdings neu vorkommt (der allerdings nur der vorherrschenden Steigerungssystematik gerecht wird), ist die zunehmende Hochstilisierung von banalen Problemen zu Krankheitsbildern. Du fühlst dich eigentlich ganz wohl in deiner Haut? Nicht mehr lange, wenn es nach den Hobbypsychologen von heute (Stichwort: Dr. Internet) geht. Krank, kränker, willkommen im 21. Jahrhundert!

Eigentlich wollte ich anfangs ja nur (meinen Wiener Wurzeln entsprechend) ein bisschen über einen Artikel, auf den ich vor kurzem im Internet gestoßen bin, raunzen. Allerdings bin ich nach etwas Recherche auf eine solche Fülle von Themen gestoßen, die alle auf eine Problematik der Pathologie des 21. Jahrhunderts hinweisen. Aus diesem Grund (und weil ich euch keine solche Wurst an Textmonster zumuten möchte) habe ich mich entschlossen, das schillernde Spektrum dieser mehr oder weniger schrecklichen Krankheiten, unter denen die Menschheit von heute so leidet, in mehreren Teilen vorzustellen.

Es handelt sich dabei um eine Streitschrift für die gute alte Wurschtigkeit. Ich plädiere hiermit für einen weniger aufgeregten Umgang mit den mal größeren, mal kleineren, jedoch immer ganz normalen und menschlichen Problemen unserer schnelllebigen Welt. Ich möchte eine Lanze brechen für den makelhaften Menschen!

Der Aufbau dieser kleinen Serie ist ein chronologischer und beginnt dementsprechend bei den Kleinsten (aber doch genügend Großen, um ihnen eine seelische Störung anzudichten): im Klassenzimmer.

1. Teil: Der Klassenclown als Krankheitsbild

Das erste mal, dass ich stutzig geworden bin, war, als ich mich im Rahmen meines Studiums mit dem Phänomen „Infotainment“ auseinander gesetzt hatte. Diese nette Wortschöpfung des verstorbenen Medienkritikers Neil Postman (aus seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ – eine kleine Leseempfehlung an dieser Stelle) bezeichnet eine Art Verschmelzung von Factional- und Fictional-TV, also Information + Entertainment. Mit solchen Inhalten, die durch verschiedene Inszenierungsstrategien unterhaltsam aufbereitet werden, sind wir alle schon mal in Kontakt gekommen bzw. tun wir das ständig. Sie sind auch wesentlich leichter zu verdauen und wir merken sie uns teilweise sogar besser („Woher weißt du das?“ - „Hab ich in Galileo gesehen!“).

Die Downsides dieser Ausgeburt unserer entertainisierten Gesellschaft zeigen sich jedoch beispielsweise besonders in amerikanischen Klassenzimmern (aber auch sonst überall, wo man die Augen aufmacht). Denn besonders für junge Menschen ist es oft schwer zu begreifen, dass sich die spannende Hintergrundmusik und die actionreichen Schnitte nicht einfach so auf die Realität umlegen lassen. Eltern / Lehrer / Ärzte stehen nun wie die Kuh vorm neuen Tor und wollen einfach nicht verstehen, weshalb ihre Kinder / Schüler / potentiellen Provisionspatienten sich partout nicht auf den Unterricht konzentrieren können oder wollen. Die Tatsache, dass viele Kinder und Jugendliche heutzutage mehr Zeit vor der Flimmerkiste als sonst wo verbringen, kommt ihnen dabei nicht in den Sinn. Dort wird man nun aber andauernd mit unnatürlich dynamisch und emotional aufbereiteter Information regelrecht bombardiert, was gerade über den unkritischen Konsum von Kindern dazu führen kann, dass der alltägliche Schulunterricht als (noch) langweilig(er) wahrgenommen wird. Spielt man nun also den Klassenclown, um die gefühlte Eintönigkeit zu durchbrechen, oder schweift der Blick ein Mal zu oft aus dem Fenster, wird man schnell zum Fall für den Doktor. Diagnose: Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS).

Mittlerweile „leiden“ weltweit über 20 Millionen (!) Kinder und Jugendliche an dieser „furchtbaren“ Krankheit (siehe Link 1), die es ohnehin schon überforderten Eltern noch schwerer macht, ihre (per definitionem) „zappeligen, impulsiv handelnden, unorganisierten und leicht ablenkbaren“ (siehe Link 2) Kinder zu kontrollieren. Man könnte es auch schlicht juveniles Kind-Sein nennen – nur lässt sich damit so schlecht Kohle machen.

Das ADHS-Forschungszentrum in Middlebourg, Holland veröffentlichte bereits 2002 eine Studie, der zufolge bei über 60 % der Kinder, denen ADHS attestiert wurde, die alleinige Umstellung der Ernährung bereits eine Verbesserung des Zustands bewirken würde (siehe Link 1). (Als bekennende Schokoholikerin kann ich an dieser Stelle leider nicht auch noch auf die allgemein bekannte katastrophale Esskultur der meisten westlichen Länder und Wohlfahrtsgesellschaften eingehen.) Doch stattdessen, werden Kindern teure und für deren Organsimus oft schwere Medikamente, wie etwa Ritalin, verabreicht. Deren Wirkung ist die, dass man für Eindrücke von außen weniger empfänglich wird und sich somit besser konzentrieren kann. Für diese Wunderpillen lassen sich übrigens (teilweise heimlich) Provisionen für die verschreibenden Ärzte veranschlagen. Somit verdienen diese, vor allem aber die produzierenden Pharmafirmen, sich also lieber weiterhin goldene Nasen an von Pillen und Pulvern abgestumpften Kinderseelen. Der wirtschaftliche Outsourcing-Trend hält nun also auch Einzug in die Kinderzimmer: Die Erziehung des eigenen Nachwuchs wird den großen Konzernen der Pharmaindustrie anvertraut. Klingt komisch – ist aber so!
________________________________________________________________________
1 http://www.gesundheitlicheaufklaerung.de/fakten-uber-adhs
2 https://www.kindermitadhs.eu

Follow my blog with Bloglovin