Dienstag, 15. Mai 2012

„Mei Bier is ned deppat!“ und andere Wiener Weisheiten

von Miriam Pierra

Wiener Schnitzel. Sissi. Gulasch. Fiaker fahren. Kaffeehäuser. Kronen Zeitung. Melange. Mozartkugeln. Maibäume. Sängerknaben. Sound of Music. Kaiserschmarren. Grüner Veltliner. Alpen. Jodeln. Schifahren. Schweinsbraten. Apres Ski. Dirndln und Lederhosen.

Als ausgebildete Hotel- und Tourismusfachfrau sollte ich so oder so ähnlich einem jeden Asiaten mit Schlapphut, der mich mit großen Augen fragend ansieht, Schlagworte zu „Typisch Österreichisch“ herunterbeten können. Am besten noch mit direkter Wegbeschreibung und das in 4 verschiedenen Sprachen (wobei Ausdruckstanz nicht zählt). Aber um ehrlich zu sein, war ich nie wirklich gut in so etwas und jene Touristen, die sich jemals auf meine Wegbeschreibungen verlassen mussten, sind mittlerweile hoffentlich wohlbehalten zuhause angekommen – oder zumindest irgendwo sonst. Vielleicht liegt mein Ungeschick bezüglich „Österreich schmackhaft machen“ ja daran, dass ich mit dieser Bilderbuch-Alpenrepublik einfach wenig anfangen kann. Mit Ausnahme der Kaffeehäuser (inklusive grantigen Kellner) und des Gedanken an schneebedeckte Berge oder an diverse Gaumenfreuden, empfinde ich die oben genannten Aspekte der heimischen Kultur als zu touristisch, zu aufgesetz. Aufzählungen wie der obigen zufolge, müssten Herr und Frau Österreicherin nämlich den ganzen Tag damit zubringen, in Tracht jodelnd im Fiaker um den Stephansdom zu kreisen und dabei eine Flasche Zweigelt nach der anderen zu köpfen.

Nur eine Sache gibt es, die mein Herz vor Freude hüpfen lässt, die mich zur Patriotin mit stolz geschwellter Brust mutieren lässt. Leider ist es ein trauriger Anlass, der mich endlich dazu bewegt, diese Rubrik um dieses Stück echten österreichischen Kult zu bereichern. Es handelt sich dabei um ein so unverwechselbar urwienerisches Stück Kultur – ach, nennen wir es doch gleich Hochkultur – dass sich sogar mir, ob meiner Herkunft vor Stolz unweigerlich die Wangen röten.

 Karl Merkatz (Mundl Sackbauer) und Ernst Hinterberger (1931 - 2012)

Der zutiefst geniale und auf eine ehrliche und ungeschminkte Weise gesellschaftskritische Autor, Ernst Hinterberger, geistiger Vater von Edmund „Mundl“ Sackbauer, ist diesen Montag, den 14. Mai 2012, 80 jährig in Lainz verstorben. Er hinterlässt die wohl einprägsamste österreichische Kultfigur des (zumindest) letzten Jahrhunderts und geschätzte 1,714 Millionen (und ein paar zerquetschte) WienerInnen, die tagtäglich bereitwillig das Erbe des Antihelden antreten. Man braucht nur den Blick aus dem Fenster und über die Straßen Wien gleiten lassen, um die (wohl erst auf den zweiten Blick) subtile Genialität Ernst Hinterbergers zu erkennen, die ihn seinen Roman „Das Salz der Erde“ schrieben ließ. Dieser diente letztlich auch als Drehbuch für die 1975 bis 79 gedrehte Fernsehserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“, eine der erfolgreichsten ORF-Produktionen in der Geschichte des Rundfunksenders. Die insgesamt nur 24 abgedrehten Folgen erzielen noch heute, als Wiederholungen ausgestrahlt, nahezu ungeschmälerten Publikumserfolg. Die Sendung war damals ein bewusster Bruch mit dem bis dahin von den amerikanischen Seifenopern propagiertem Bild einer „happy familiy“. Die Situationen, die Hinterberger seinen Protagonisten, den ewigzornigen, trinkfesten Grantscherben Mundl, und seine Familie (u.a. Ehefrau Toni, Tochter Hanni, Sohn Karli, Bruder Schani und diverse Schwiegertöchter, -söhne und „Nudelaugen“) durchleben lässt sind geradezu banal in ihrer Alltäglichkeit. Da ist es etwa ein feuchtfröhlicher Silversterabend im Gemeindebau mit Familie Sackbauer, anhand dessen ein Bild der Wiener Mentalität gezeichnet wird, das in seiner Wahrhaftigkeit schlicht zum Niederknien ist.



Sogar ins Kino haben es die Sackbauers geschafft, gleich 2 mal in den letzten 4 Jahren. Allerdings muss ich zugeben, weder „Echte Wiener - Die Sackbauer-Saga“ noch „Echte Wiener 2 – Die Deppat‘n und die Gspritzt‘n“ (was für ein Titel <3) gesehen zu haben (Schande über mein Haupt), weil allein schon die Kritiken beider Teile mein schönes Bild des immer launischen, unermüdlichen Arbeiterklassen-Cholerikers ins Wanken zu bringen vermochten: Der mittlerweile 82 jährige Schauspieler Karl Merkatz, der Mann, der dem echtesten aller Wiener Leben eingehaucht hat, wie es kein anderer sonst geschafft hätte – er sei alt geworden und mit ihm die mich immer so herrlich amüsierenden, aber auch immer spärlicher gesähten Mundl‘schen Ausfälle und Wutausbrüche ... *Finger in die Ohren steck und lalalalala sing* Um diese Wahrheit akzeptieren zu können, ist mir die Figur des grantigen Familienoberhauptes, das immer eine Lebensweisheit zum Besten zu geben weiß, zu sehr ans Herz gewachsen. Ganze Generationen von Österreichern durften in den Genuss dieser kommen. Wann immer heute jemand in einer überfüllten Straßenbahn lauthals zu gröhlen beginnt: „Mei Bier is ned deppat!“, so kann er sich sämtlicher Sympathiepunkte aller in besagter Bim befindlicher echter Wiener sicher sein.

(Neben der Bündelung sämtlichen „Wiener Schmähs“ in nur einer einzigen Kultfigur, gelangen Ernst Hinterberger zudem viele weitere große Erfolge in Österreich, wie etwa die 1992 bis 99 ausgestrahlten TV-Serie „Kaisermühlen Blues“. Diese bedürfte hinsichtlich der Vielfältigkeit des angebotenen Rollenspektrums – von der neugierigen Hausbesorgerin bis hin zum altbewährten Sujet des Wiener Proleten – einen eigenen Beitrag, und ist doch der Vollständigkeit halber auch an dieser Stelle zu erwähnen.)

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