Mittwoch, 23. Mai 2012

Die Pathologie des 21. Jahrhunderts III

von Miriam Pierra

3. Teil: Der Hamster und das Laufrad

Nun soll es ja tatsächlich Leute geben, die es geschafft haben, den regelrechten Spießrutenlauf der an allen Ecken und Enden lauernden Pathologien bravourös zu meistern. Sie sind dann also etwa Mitte bis Ende 20 und noch immer keiner der zahlreichen psychischen Störungen aus dem heute schier endlosen Repertoire erlegen. Sie waren brave, angepasste Kinder, fleißige Studenten und nun platzen sie fast vor lauter Motivation, endlich einen Senkrechtstart in Richtung Karriereolymp hinlegen zu können. Wenn diese Gewinnertypen jetzt nur ihre bisherige Strategie weiterverfolgen, immer schön artig und strebsam zu sein; wenn sie es schaffen auch in Zukunft so zu funktionieren, wie es von ihnen erwartet wird; und wenn sie es weiterhin schaffen, alle Ansprüche, die sie an sich selbst stellen auch zu erfüllen – dann, ja dann kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen ... oder?

Jetzt aber mal ehrlich: Die oben beschriebene Erfolgs-Strategie klingt doch ein wenig gar ehrgeizig. Löblich, fürwahr! Aber auch äußerst ambitioniert und ganz einfach kräftezehrend. Es verlangt nun mal einen Mordsbatzen Selbstdisziplin und vor allem Stressresistenz (vielleicht sogar einen leichten Hang zur Selbstgeißelung?), sich in unserer ohnehin schon schnelllebigen Welt dazu zu entschließen, sich für einer Art Langzeit-Hochgeschwindigkeits-Rennen einzuschreiben, auch bekannt als „Karriere machen“. Denn mir kann keiner erzählen, dass diese Prototypen, die immer alles erreichen und ganz vorne mit dabei sein wollen, nämlich der vielzitierte Top-Manager oder auch die erfolgreiche Karrierefrau, die nebenher noch Haushalt und Kind schupft, ein entspanntes, gemütliches Leben führen.

Wie? Erfolg auf der ganzen Linie soll nun auf einmal anstrengend sein? Karriere, Liebe, Geld, Familie, vielleicht sogar noch ein wenig Abenteuer zum Drüberstreuen – das sind doch alles so positiv konnotierte Dinge. Und Plus und Plus ergibt doch immer auch Plus, oder hab ich da im Matheunterricht was falsch verstanden? Des Pudels ominöser Kern ist die anfangs (im 1. Teil) erwähnte Herrschaft des Komparativs. Heutzutage wollen wir nicht mehr „nur“ glücklich sein, sondern glücklicher als die Anderen! „Erfolg“ wird als das Übertrumpfen anderer oder auch seiner eigenen Leistung definiert. Eine leidenschaftlichere Beziehung, eine harmonischere Familie, eine höhere Summe auf dem Gehaltsscheck. Stillstand kommt einem Scheitern gleich.

Humphrey, mach mal Pause!

Die Problematik führt man sich am besten mit dem Bild eines Hamsters im Laufrad vor Augen. Der Hamster – nennen wir ihn Humphrey – läuft also immer weiter, immer schneller in seinem kleinen Laufrad. Humphrey läuft und läuft und merkt dabei gar nicht, in was für einem Teufelskreis er steckt. Denn umso schneller er seine kleinen Füßchen bewegt, umso schneller dreht sich auch das Rad, in dem er sich befindet. Doch Humphrey ist nicht dumm. Hat er genug, steigt er einfach aus und kuschelt sich ins gemütliche Heu, um sich auszuruhen. Nur dürfen wir nicht vergessen: Humphrey ist ein Hamster und kein kleines Rädchen in einem riesigen Uhrwerk namens Leistungsgesellschaft. Dieser zutiefst natürliche Instinkt, einfach eine Verschnaufpause einzulegen, wenn man am Rande der Erschöpfung schon am Zahnfleisch kriecht, gilt als leistungsschwach und faul – es sei denn natürlich, man erholt sich mit Hilfe konsumierter Dienstleistungen, wie etwa in einem teuren Wochenend-Spa, und schmiert somit weiterhin das Laufrad unseres Wirtschaftssystem, auf dass es ewig weiter renne.

Apropos Wirtschaft: Es wäre ja gelacht, wenn sich aus dieser künstlich geschaffenen Problematik unserer Gesellschaft nicht auch irgendwie Profit schlagen ließe. Ich schulde euch nun schon seit über 4 Absätzen die entsprechende Pathologie, aber dieser Text handelt von einem ohnehin so stark vermarkteten Begriff, dass ihn sogar ein ADHS-krankes Schulkind schon mal im Wartezimmer seines Psychiaters aufgeschnappt haben könnte und schon längst wüsste, worum es hier geht: Das Burn-Out-Syndrom ist in den letzten paar Jahren zu einem der Modewörter schlechthin avanciert.

Doch wie sieht dieser Weg, von der Wortschöpfung diverser Marketingabteilungen von Pharmakonzernen hin zur international anerkannten und gefürchteten Krankheit, eigentlich aus?

Die meisten „Geisteskrankheiten“ werden im Rahmen von internationalen Psychiatrie-Kongressen durch Abstimmungen regelrecht „beschlossen“ (siehe Link 1). Ich möchte mir keinesfalls anmaßen, diesen Leuten ihren Expertenstatus abzusprechen. Pikanterweise werden diese Kongresse aber wohlgemerkt meist von Pharmakonzernen gesponsert, was einen doch stutzig werden lassen sollte. Die Krankheiten von morgen werden also im Rahmen solcher Treffen auf Einladung derer festgelegt, die später von deren Vermarktung profitieren werden. Objektive Erkenntnisse kommen anders zustande.

Das Burn-Out-Syndrom ist in meinen Augen ein klassischer Fall einer umsatzsteigernden Umschreibung für eine Nebenwirkung unserer modernen Gesellschaft. Der individuelle Stress und psychische Druck, den wir als Belastung empfinden, ist bei dem Lebensstil, der heutzutage in Wohlfahrtsgesellschaften gepflegt wird kein Wunder, geschweige denn eine Geisteskrankheit! Natürlich gibt es einzelne Fälle, die ernst zu nehmen sind, in denen Menschen seriöse psychologische Hilfe und Unterstützung brauchen. Nur klammere ich diese selbstverständlich aus, wenn ich kritisiere, dass diese Pathologie mittlerweile zum gefährlichen Trend verkommen ist.

Die Seite www.burnout.info (in Google eines der ersten Suchergebnisse und somit höchstwahrscheinlich auch eine der ersten Anlaufstellen für Leute, die sich informieren wollen, ob ihr Stress unter Umständen pathologisch sein könnte) trägt übrigens meines Erachtens nach zu diesem Hype bei, wenn sie etwa schreibt: „Immer mehr Menschen und Prominente leiden an dieser emotionalen und körperlichen Krankheit.“ Abgesehen davon, dass die Unterscheidung zwischen Menschen und Prominenten mehr als fragwürdig ist, klingt das in meinen Ohren eher nach Werbung als nach professioneller Beratung. Auch die Beschreibung, was denn alles kein Burn-Out-Syndrom ist, lässt zu wünschen übrig, wenn darin darauf verwiesen wird, dass es sich bei einem „Gefühl dauernder Erschöpfung“ vielleicht ja auch um die „eigenständige Erkrankung des chronischen Müdigkeitssyndroms“ handeln könnte. Von der Möglichkeit, dass man vielleicht einfach mal eine Pause brauchen und einen Gang runter schalten könnte, ist hier mit keinem Wort die Rede. Hier wird man von einer Krankheit an die nächste verwiesen.

Ein Hoch auf die Wurschtigkeit!

Angesichts der unzähligen, wenig seriösen „Wie Burn-Out gefährdet sind Sie?“-Tests, die über das ganze WWW verstreut sind, kann man sich nur schwer dem Gedanken entziehen, hier würde eine regelrechte Burn-Out-Propaganda betrieben. Man versucht ganz schamlos aus der Unsicherheit der Menschen Profit zu schlagen, indem man den Katalog der möglichen  Antworten auf die Frage „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ laufend erweitert – nur die Antwortmöglichkeit „Nix! Passt scho‘! Ois leiwand! Mach halt mal PAUSE!“, die fehlt. 


Wir haben verlernt uns zurückzulehnen, uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Stattdessen zweifeln wir, orientieren uns an den Anderen, an der Gesellschaft, ohne diese zu hinterfragen.  Somit schmieren wir alle kräftig das Laufrad der Pathologie des  21. Jahrhunderts, sodass es immer weiter rennt und rennt ...

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1 http://www.gesundheitlicheaufklaerung.de/fakten-uber-adhs

1 Kommentar:

  1. Toller Post! Und leider so wahr. Ich habe allgemein das Gefühl, dass heute immer mehr solche "Schein"-Krankheiten geschaffen werden, nur um die Wirtschaft bzw. die Pharmaindustrie anzukurbeln. Dass wir uns dabei nicht gelackmeiert vorkommen, ist irgendwie schon sehr wunderlich.

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