Freitag, 31. August 2012

Sex on the Beach mit einem Schuss Feminismus

von Miriam Pierra

Urlaubslektüren sind schon was Feines. Manches ist geistreich, manches spannend, vieles ist seicht. Mal liest man darin Dinge, die einen in der eigenen Meinung bestärken, mal Kontroverses, und manchmal auch etwas, das einem gehörig gegen den Strich geht. In so einem Fall kann man sich der Dummheiten, die da in gebundener Form daherkommen, ganz leicht erhaben fühlen, indem man das freche Ding einfach zuklappt und weglegt. Das funktioniert aber wohlgemerkt nur bei der eigenen Lektüre. Was aber tun, wenn einer der geschätzten Urlaubs-Compagnons gerade begeistert in einem Schmöker blättert, von dem man schon damals an der Kassa in der Buchhandlung wusste, er würde Unheil bringen? Nun gut, die Wahl der Strandlektüre meiner (männlichen) Begleitung fiel also auf Ralf Bönts „Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann“.

„New York Times, IWF, Deutschland! Na bitte, da hast du‘s!“, tönt es plötzlich triumphierend neben mir. Ich blinzle verschlafen, die Sonne blendet mich. Wer wagt es mich während meines allsträndlichen Mittagsschläfchens zu wecken? „Angela Merkel, ha!“, ruft mein Freund L. neben mir. „Das ist gut, das merk ich mir.“ Ich blicke etwas verdutzt zu L., dessen Kopf sich hinter dem mit geradezu hysterisch neongrüner Aufschrift bedruckten Buchdeckel des besagten Manifests versteckt. „Hä?“, murmle ich und richte mich, den 30 Grad im Schatten entsprechend motiviert, langsam auf. „Wenn ich das nächste mal mit einer bornierten Feministin diskutiere, werde ich sagen: Die New York Times, der IWF und Deutschland, alles globale Größen in vielerlei Hinsicht, werden von Frauen geführt. Da habt ihr‘s doch! Von wegen patriachale Unterdrückung.“ Ich halte einen Moment inne. Mein Gegenüber ist eigentlich ein blitzgescheiter und überdurchschnittlich smarter Mann. Aber wo soll ich nur anfangen ihm zu erklären, was für einen populistischen Schmarren er da gerade zitiert hat?



Kampflesbe vs. Chauvinistenschwein


Dieses war der Beginn unserer ersten Auseinandersetzung in Sachen (Anti-)Feminisimus in diesem Urlaub, es sollten noch viele weitere folgen. Die Sache hatte sich auch schnell erledigt, da auch L. bald eingesehen hatte, dass es sich dabei um ein besonders flaches „Anschauungsbeispiel“ Bönts handelte. Sein Manifest jedoch ist gespickt mit zahlreichen weiteren Versuchen, dem Leser ein Bild der modernen Frau zu suggerieren, die nach der 3. Welle des Feminismus im letzten Jahrhundert nicht nur längst gleichberechtigt wäre, sondern nun auch noch versuche, dem Mann seine Stellung in der Familie strittig zu machen und ihn somit seiner Rechte zu berauben. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich bisher weder das Buch selbst gelesen habe, noch plane es zu tun. Die wichtigsten Thesen habe ich ja schon in stundenlangen Diskussionen mit L. durchkauen dürfen. Ein herrliches Schauspiel: Frau vs. Mann, vom dalmatinischen Wein gelockerte Zungen und das Rauschen des Meeres im Hintergrund, das einen immer wieder runterholte, wenn es mal etwas hitzig wurde.

In Anlehnung an den Postkartenklassiker mit den aufgereihten Frauenhintern in Neon-Tangas, die es sonst an jedem Strandpromenaden-Stand zu kaufen gibt – und weil die Klicks dieses Postings sich hiermit wahrscheinlich gleich mal verdoppeln werden. (Tippt man übrigens die genderneutralen Suchbegriffe "sexy" und "Beach" in Google ein, findet sich das erste Bild eines halbnackten Mannes erst auf Seite 5.)

Das Ganze spielte sich übrigens an der wunderschönen kroatischen Adria ab, die, je weiter man gen Süden fährt, als Setting für Genderdebatten hinsichtlich der dort vorherrschenden steinzeitlichen Vorstellung davon, was als männlich und was als weiblich gilt, zusätzlich Gesprächsstoff lieferte. (Memo an mich: Überprüfen ob der Wortstamm von „Macho“ nicht doch irgendwo im Kroatischen begraben liegt.) „In Dalmatien ist die Welt noch in Ordnung! Da fängt der Mann den Fisch und die Frau bereitet ihn zu. Und ein kaltes Pivo steht auch immer schon am Tisch, wenn man nachhause kommt.“, zog mich L. (der selbst begnadet kochen kann, während meine bescheidenen Kochkünste sich in Grenzen halten) am Ende immer wieder auf. Viele der Bemerkungen, die seitens meiner männlichen Kontrahenten gefallen sind, sollten wohl lediglich den Sinn haben, mich auf die Palme zu bringen. Anscheinend empfinden selbst die liebenswertesten Männer eine perfide Lust daran, Frauen damit aufzuziehen, wenn sie sich mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen wollen – auch wenn sie „ja eh dafür“ sind, dass Frauen für gleiche Arbeit gleich viel verdienen. Ja, auf der historischen Butterseite der Semmel lassen sich eben leicht mal Witzchen reißen. Doch das führt leider oft dazu, dass die meisten jungen Frauen, die ich kenne, sich nicht einmal mehr trauen, sich überhaupt zum Feminismus zu bekennen. Sie wollen nicht in eine Ecke gestellt werden mit all den „verbitterten Mannsweibern“ und „Kampflesben“, die Männer in ihren abfälligen Bemerkungen hinter feministischen Bewegungen vermuten. Welcher Mann will schon eine fanatische Frauenrechtlerin an seiner Seite? Und welche Frau will schon ihren Mann einschüchtern, mit Forderungen nach einem verpflichtendem "Papamonat" oder Frauenquoten? Aber wie bitte soll eine Frau keine Feministin, also gegen Gleichberechtigung sein können?

„Wie sonst willst du Bademode präsentieren, außer halb nackt?“


Aber stimmt ja, wir befanden uns ja immer noch in Dalmatien, dem Land der kurzen Röckchen. Ich muss sagen, die ersten paar Tage waren ja noch lustig. Sogar mir machte es Spaß, mich gemeinsam mit meinem Single-Freund L. auf die Pirsch zu legen und Ausschau nach einer potentiellen Partnerin für ihn zu halten. Ja, es war ein wahres Fest, all den langbeinigen, braungebrannten Grazien nachzuschauen und sich Strategien zu überlegen, wie man sie am besten mit meinem charmanten Begleiter verkuppeln könnte. Doch nach einigen Tagen bekam das Ganze einen bitteren Beigeschmack für mich. Es wurde mir schlicht zu einseitig. War es anfangs noch witzig, jede vorbeistöckelnde Hotpants zu kommentieren, fiel mir nach einiger Zeit auf, dass sowohl auf den Straßen, als auch auf den haushohen Plakaten, die männlichen Pendants zu all den aufreizenden Weibchen fehlten. Die kroatischen Männer waren alle wenig bemüht, wie alte, faule Kater, die in einem Haus voll mit Mäusen wohnten und langsam fett geworden waren, mussten sie doch nur eine Pfote ausstrecken, um sich die Nächste zu krallen. Von den weißgesockten amerikanischen Kreuzfahrttouristen ganz zu schweigen.

„Ja, aber es sind doch auch Bikinis! Wie sonst willst du Bademode auf Plakaten präsentieren, außer halb nackt?“, empört sich mein Freund A., selbst stolzer Kroate und längst an den Anblick der in Dalmatien tatsächlich blankeren Haut als sonst wo gewöhnt. „Außerdem hat es hier im Sommer 40 Grad, willst du dass jetzt alle in Jeans herumrennen? Du hast doch auch gerade eine Hotpants an!“ Ich sehe an mir herunter. Verdammt. Das untergräbt meine Glaubwürdigkeit jetzt natürlich ein wenig. Ich hole zu einem verlegenen Gegenschlag aus: „Natürlich will ich das nicht. Und ich möchte auch keiner Frau absprechen, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen und diesen auch zu zeigen, aber ... keine Ahnung ... Wieso ist eine Frau immer gleich ein Sexobjekt, wenn sie das tut, der Mann aber bleibt, auch wenn er oben ohne herumläuft, immer das Sexsubjekt? Es ist ja wie auf einer riesigen Rinderfarm hier, wo der Mann am Zaun entlang geht und sagt ‚Dieses da sieht saftig aus.‘“ Rückblickend hätte ich in diesem Zusammhang auch den Kunsttheoretiker John Berger zitieren können, der einmal schrieb: „Männer handeln. Frauen treten in Erscheinung. Männer sehen Frauen an. Frauen sehen sich, wie sie angesehen werden.“ Stattdessen weise ich mein Gegenüber darauf hin, dass es auch weniger laszive Posen für die Präsentation von Bikinis gibt, als die der mit gespreizten Beinen im Sand knienden Latina mit Schlafzimmerblick, und überhaupt und allgemein, wer sitzt denn in den (immer noch größtenteils männlichen) Vorständen der Werbeagenturen, die letztlich entscheiden, wie die neusten Kollektionen beworben werden sollen? Doch A. hört mir längst nicht mehr zu – zu verlockend die schönen Aussichten entlang der Promenade.

Man Up, Girls!


In einer Sache muss ich Ralf Bönt letztlich doch Recht geben: Das blinde Männerbashing, das von populistischen Feministinnen oft betrieben wird, ist leider so wenig sinnvoll wie es würdelos ist. Außerdem ist es immer leicht, sich einen Sündenbock zu suchen, den man für alles verantwortlich macht. Den schwarzen Peter in Sachen Umweltverschmutzung schieben wir Ölmultis in die Schuhe – und fahren doch jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit, statt mit dem Fahrrad. Schuld an der Ausbeutung der 3. Welt haben natürlich die großen Konzerne – und doch kaufen wir ihren neuesten Scheiß immer wieder. Ähnlich verhält es sich mit feministischen Anliegen, die Sexismus und festgefahrene Rollenbilder kritisieren: Wir müssen uns endlich selbst an der Nase nehmen und aufhören, uns als Opfer einer patriachalen Gesellschaft zu sehen! Fragen wir uns doch mal, wieso so viele Frauen das Haus nicht verlassen, ohne davor 2 Stunden vor dem Spiegel damit verbracht haben zu müssen, sich zuzukleistern und aufzupushen? Weshalb studieren immer noch so wenige Frauen MINT-Fächer, wo man in gerade diesen (finanziell vielversprechenden) Bereichen händeringend nach weiblichem Nachwuchs sucht, und bevorzugen eher brotlose Studien wie Kunstgeschichte oder Publizistik? Warum bestehen so wenig Frauen in Gehaltsverhandlungen auf eine Bezahlung, von der sie wissen, dass ihre Leistungen es rechtfertigen würden? Auch Quoten sind letztendlich nichts anderes, als lediglich Chancen für Frauen, sich in der harten Arbeitsrealität in den Chefetagen selbst zu beweisen. Dazu müssen diese aber auch die Ellbogen ausfahren, öfter mal „Hier!“ schreien, statt sich hinterrücks gegenseitig zu diskreditieren, weil die eine vielleicht jünger, hübscher oder charismatischer ist, als man selbst. Schon mal Männer übereinander lästern gehört? Die ersten Schritte müssen, wie so oft, bereits in der Kinderstube getan werden: Mädchen müssen nicht immer lieb und nett sein. Ich persönlich war immer eine kleine Rotzpipn – und bin darauf heute stolz wie Oskar!

Meinungsmacker waren gestern


Eine wichtige Schlüsselfunktion haben hierbei übrigens auch die Medien: Die Bereitstellung von Vorbildern ist ganz essentiell, um gerade jungen Mädchen eine Orientierungsmöglichkeit zu bieten. Das altbackene Kinderfilm-Schema, in welchem Frauenrollen meist zwischen naiver Prinzessin und böser Stiefmutter rangierten, hat heutzutage sogar bei Walt Disney ausgedient. An ihre Stelle treten unbequeme Kämpferinnen, die sich auch mal gegen eine Vermählung mit dem strahlenden Prinzen als ultimatives Happy End verwehren, wie etwa im aktuellen Animationsfilm „Merida – Legende der Highlands“. Auch TV-Serien können nebst unterhaltsamer Berieselung am Feierabend noch ganz andere Funktionen ausüben: Seit dem Start der Krimiserie CSI ist in den USA der Anteil weiblicher Forensik-Studentinnen um 64 % gestiegen! Ein Negativbeispiel was passiert, wenn Medien diese Verantwortung nicht wahrnehmen, ist jedoch auch schnell gefunden: Die Medienlandschaft in Kroatien ist beispielweise, was emanzipatorische oder gar feministische Themen angeht, mehr als rückständig. Die besten Chancen auf ein Rauschen im Blätterwald haben dort leider oft nur Geschichten von hübschen Mädchen aus der Unterschicht, die, wie im Märchen, endlich ihren reichen Prinzen gefunden haben. Jennifer Siebel Newson widmet sich in ihrer Dokumentation "Miss Representation" u.a. dem Problemfeld der Darstellung von Frauen in den Medien und der Trailer bringt diesen Absatz wunderbar auf den Punkt:




Zum Schluss noch ein paar erfreuliche Nachrichten aus heimischen Gefilden: Alexandra Föderl-Schmid, langjährige Chefredakteurin der liberalen österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, wurde kürzlich zur Co-Herausgeberin beider Redaktionen, online (derstandard.at) wie offline, ernannt. Neue stellvertretende Chefredakteurin beider Medien wird die bisherige Ressortleiterin der Innenpolitik, Anita Zielina. Chefredakteurin von derstandard.at bleibt Gerlinde Hinterleitner. Etwaige Vergleiche des Gründers und Herausgebers Oscar Bronner als nunmehr „Hahn im Korb“ sind zwar vielleicht gerade in einer Feminismusdebatte gefährlich, aber eigentlich auch nur wenn hier humorlose "Innen"-VerfechterInnen mitlesen: Ich freue mich außerordentlich auf weitere erfolgreiche Jahre qualitätsjournalistischen Gegackers auf höchstem Niveau im Standard-Stall. ;)