Dienstag, 3. Juli 2012

Euphonischer Start in den Sommer mit GRIMES

von Miriam Pierra

„Studying means working hard: 24 hours a day - 7 days a week - 4 weeks a year.“

Diese weisen Worte waren für die letzten paar Wochen auch mein Mantra. Nach etlichen Stunden (also gefühlten Monaten) auf der Bibliothek, haben jetzt auch Myra und ich (hoffentlich) erfolgreich unsere letzten Prüfungen hinter uns gebracht. Jetzt heißt es also endlich auch für uns: Hallo Sommer! Hallo Sonne, Schwimmen (respektive Schwitzen), Seelebaumeln! Und nachdem heuer mein erster arbeits- bzw. praktikumsloser Sommer seit Jahren ist, gilt für mich nun zusätzlich: Hallo, du süße, süße Unproduktivität! Oh, wie ich dich zelebrieren werde!

Natürlich betrifft das keinesfalls diesen Blog, denn allein die Tatsache, dass ich diesen Sommer zu meinem persönlichen Festival-Sommer (seit beschämend langer Zeit) auserkoren habe, dürfte mir genügend Stoff liefern, um euch monatelang mit meinen musikalischen Neuentdeckungen zwangszubeglücken.

Kommen wir also gleich zur Sache: Eine junge Dame ist mir u.a. während meines oben beschriebenen Lernprozesses besonders treu zur Seite gestanden, hat mir an lauen Sommerabenden das Fahrradfahren versüßt und wüsste ich, wie man meditiert, dann hätte ihre Falsett-Stimme mich mittlerweile sicherlich ins Nirvana transzendiert.

Grimes is like, you know, like.. kinda like.. it's like pewking rainbows


Ich muss wirklich sagen, dass es selten eine Künstlerin geschafft hat, mich so in ihren Bann zu ziehen, wie die gerade mal 24 jährige Kanadierin Claire Boucher, alias Grimes. Meine erste „Begegnung“ mit ihr passierte beim Durchstöbern diverser Musikblogs, wobei ich auf den Song Genesis stieß, der heute als eines der Zugpferde ihres dritten Album Visions gilt. War ich zunächst „nur“ entzückt vom Ohrwurmpotential diverser Genialitäten auf besagtem letzten Album, ist es hingegen endgültig um mich geschehen, als ich etwas tiefer in Grimes‘ Musik (nämlich in ihr noch psychodelischer angehauchtes vorletztes Album Halfaxa) eingetaucht bin. Ja, ich würde sagen, eintauchen ist wohl das treffende Wort.



"Grime" heißt auf Englisch "Schmutz / Ruß", bezeichnet aber auch eine Subart von HipHop / Garage aus London.

Grimes‘ Musik hört man nicht einfach, man legt sich in sie hinein. Man schwimmt darin, zieht ausgiebig seine Bahnen, bis man sich erschöpft und glücklich zum Trocknen in die Sonne legt. Nicht umsonst wird diese Neuentdeckung des letzten Jahres (ja, nach Österreich braucht halt alles immer ein bisschen länger) quer durch die Kritikerreihen in höchsten Tönen als noch nie dagewesener „hypnotischer Geisterpop“ gefeiert. Diese Umschreibung ist wohl Grimes‘ elfengleicher Stimme geschuldet, die sie in verzerrter Weise auch gleich als Instrument selbst in das hypnotische Klangbild ihrer Musik einarbeitet. Stakkatoartige, mitreißende Hintergrundbeats sind genauso charakteristisch für ihre Lieder, wie synthetische Sounds aus dem Keyboard, die sich in den zahlreichen übereinander gelegten Sphären eines einzigen Songs im maximal aufgedrehten Hall verlieren. Boucher selbst nennt es liebevoll ADD music“. Auch ihr Zugang zum Musik machen ist etwas verdreht: „I’ve been reading about phonetics, linguistics – when I hear music, I don’t hear the words. I need a specific sound, an “ah” or an “ooh”, and then [I wonder] how to get a word that’s that “ooh”. It’s hard to have that meticulous of an idea about enunciation when you’re trying to construct vocal parts.“ Letztendlich gelingt es ihr aber doch immer wieder, nicht zuletzt auch in ihren zahlreichen Kollaborationen mit Größen wie der schwedischen Sängerin Lykke Li, mit der sie letztes Jahr durch Nordamerika getourt ist, oder dem ebenfalls aus Kanada stammenden d‘Eon, für dessen Video zu Transparency sie Editor war.

Ich könnte mich jetzt bemühen, weiterhin diverses musikalisches Geschwurbel á la „Synthie-Lo-Fi meets atmospheric New Age Electro“ aus dem WWW zu kramen, aber leider spreche ich (noch) kein Musikalisch, ich höre es nur gerne. Außerdem ist das bei einer Künstlerin wie Grimes, die in ihrer Person schon so unsagbar schwer zu fassen ist, ein eher sinnloses Unterfangen. Ihre Musik ist wie Claire Bouche selbst: immer ein bisschen frenetisch, durcheinander und mit (musikalischen) Referenzen zu Björk oder Enya auf Drogen. „I go through phases a lot“, sagt Boucher - und mit ihr ihre Musik. Derzeit ist sie der Mode- und Fashionwelt recht zugetan. “I want to make Grimes a high-fashion sci-fi act“, behauptete sie kürzlich in einem Interview mit W Magazin. Ihr Sound untermalt derzeit auch eine aktuelle Fashionkampagne des kanadischen Labels complexgeometries, in der auch das genderlose Supermodel Andrej Petrovic zu sehen ist. Dass die Wahl gerade auf ihn / sie gefallen ist, liegt wohl an der Gemeinsamkeit der faszinierenden Undefinierbarkeit der beiden Künstler.


Grimes ist eine Frau, die viele kontroverse und herausragende Talente in sich vereint, sich aber hinter dem unsicheren Auftreten einer lispelnden 16 Jährigen mit abgekauten Fingernägeln versteckt. Der einzige Kritikpunkt meinerseits wäre ihr Hang, sich in Interviews immer wieder selbst ins Wort zu fallen - with like every like second word like being like „like“. Solange das sich aber nicht auf ihre Songs überträgt, macht sogar das sie in meinen Augen auf eine verschrobene Art liebenswert. Ihre Liebe zu „weird music“ entdeckte sie laut eigenen Angaben über‘s Ballett, wobei es ihr Strawinsky besonders angetan hat – ihre heutigen Vorbilder sind unter anderen Lil Wayne (on stage) und Mariah Carey (wohl wegen der hohen Tonlage, in der sich beide Damen üben). Der McGill University in Montreal, an der Boucher russische Literatur und Neurowissenschaften (!) studierte, wurde sie verwiesen, als das Musik machen zu viel Zeit in Anspruch nahm.

Da Grimes nicht nur musikalisch, sondern auch malerisch ziemlich artsyfartsy unterwegs ist und all ihre Albumcover selbst gestaltet, verrät die kyrillische Schrift auf ihrem aktuellen Visions-Cover Grimes‘ Werdegang: "Я лублю" (Ich liebe Dich) ist dort zu lesen, sowie ein Verweis auf das Gedicht "Но я предупреждаю вас..." (Aber ich warne euch ...) von Anna A. Achmatowa. Die letzten Verse davon lauten bezeichnenderweise nämlich: "Nicht als Schwalbe, / ... / Nicht als Glockenklang – / Werde ich die Menschen verwirren / Und die fremden Träume besuchen / Als unerfülltes Stöhnen."


So, und nun, meine Allerliebsten, breitet ihr am besten eure Flügelchen aus und startet eure eigene Rundreise durch die Welt von Grimes. Meine persönlichen Favorites, die ich euch mit auf den Weg geben möchte, sind (neben den bereits genannten) ihre aktuellen Songs Vanessa, Oblivion, Symphonia IX (live) oder Vowels = Space and Time. Ich würde aber empfehlen, mit folgender fantastischer Aufnahme live aus der Internetradiostation KEXP Seattle zu beginnen. Es ist eines meiner Lieblingsvideos von ihr, weil man hier auch gleich Zeuge ihrer überaus charmanten Tapsigkeit werden kann, die sie teilweise die Töne nicht ganz treffen oder Einsätze verpassen lässt, was dem musikalischen Erlebnis aber keinerlei Abbruch tut.



Und das Beste kommt natürlich immer zum Schluss: Guess who‘s going to go all fangirlcrazyswazy on her at the BERLIN FESTIVAL 2012 - ME(riam)! whoop whoop

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